Jesuiten 2010-3

18 Jesuiten Schwerpunkt: 68 – Jahre des Umbruchs Herwartz: Ich komme aus einer Familie,in der gern und lange um angemessene Reaktionen gerungen wird.Gewaltlösungen waren geächtet.Diese eingeübte Blockade spüre ich zum Glück weiter in mir.Aber ich bin oft perplex über dieVerlogenheit von Menschen, die vernichtende Gewalt anwenden,z.B.Familien Lebensgrundlagen entziehen und gleichzeitig brutal gegen Reaktionen darauf vorgehen. Merken sie den Zusammenhang nicht? Diese Verlogenheit macht mir Gewaltreaktionen verständlich,auch wenn ich sie für mich ablehne.Ich kann mich nicht so leicht davon distanzieren,ohne praktisch die Gegenseite zu unterstützen,was ich nicht will. Mertes: Den Zusammenhang kenne ich von den Missbrauchsopfern:Sie sind Opfer von Gewalt und werden auch noch totgeschwiegen,wenn sie sich gegen diese Gewalt wehren.Das Sprechen,Anklagen und Schreien der Opfer wird als Gewalt erlebt und überschreitet tatsächlich auch manchmal Grenzen. Hat sich eigentlich durch den Fall der Mauer 1989 etwas an Deinem Blick auf die Zeit vorher geändert? Für mich hat sich etwas ganz Wesentliches verändert,weil der Ost-WestKonflikt mein Denken nicht mehr so stark beherrscht.Der machte es mir ja damals so schwer,den 68ern zuzuhören. Herwartz:Auch für mich hat sich viel geändert durch die neue Erfahrung,ohne eine staatliche Mauer vor der Tür zu leben. Darüber musste sich wieder einmal meine Sprache ändern. Dieser Verlust hatte etwas Schmerzhaftes mitten in der Freude neuer Begegnungen mit ehemaligen Bürgern der DDR. In diesem Sprachloch tummeln sich vieleVerführer, die das Volk immer mehr in Reiche und Arme spalten,sogar unter einem christlichen Deckmantel.Solidarische Beziehungen werden unterlaufen.Ich hoffe auf ein neues Ringen, die Wirklichkeit solidarisch anzusprechen. © SJ-Bild Jesuiten-Scholastiker im „Villa-Haus“ Aidenried am Ammersee

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