Jesuiten 2010-4

8 Jesuiten Schwerpunkt: Heiliger Alltag Ein Gebet,gerichtet an Gott,aber auch ein Gebet gegen Gott:„Wie lange noch,Herr,wie lange noch? Wie lange noch wird der Gerechte misshandelt,wird der Unschuldige zerdrückt …? Wie lange noch siegt das Böse auf der Erde …? Herr,wach Du auf!“ (Ps 6,4; 44,24;94,3 usw.) Ein Gebet aber auf alle Fälle mit Jesus,dem großen Fürbitter.Er,der Gott-Mensch,der sich nicht schämt,uns Brüder und Schwestern zu nennen,er,der sich uns allen gleich gemacht hat und dadurch für uns der Hohepriester geworden ist,barmherzig und treu,weil er versucht worden ist und gelitten hat,deswegen kann er uns zu Hilfe kommen (vgl.Hebr 2,11-18). Aber die Nacht ist auch eine Zeit,in der die Liebenden sich begegnen,in der sie sich umarmen und wieder von neuem verlieren, die Zeit des Wartens und derVerzweiflung, der Leere und der Fülle, die Zeit derTreue und des Verrats,die Zeit,wo endlich die Liebe kein Wort braucht,um etwas zu sagen. Aber auch dies geschieht in der Nacht … Wie vor offenen Tabernakeln Die Gemeinschaft mit den Leuten von der Straße,mit denen wir zusammen leben möchten – wir vier Kleine Schwestern in Berlin – hat uns im letzten Jahr dazu geführt, noch auf eine andere Weise wach zu bleiben: Es ist mir passiert,und es ist uns passiert,dass wir tatsächlich eine Zeit der Nacht draußen und im Winter mit unseren Freunden in Notübernachtungen verbracht haben. Diese Gesellschaft,die in die Nacht hineinreicht oder die Nacht überdauert,hat für mich einen sakramentalen Wert bekommen. Ich bin da, wir sind da, wie vor offenen Tabernakeln: Verwundete Herzen liefern sich uns aus,sie brauchen es überall,mit Respekt und Liebe betrachtet zu werden und aufgenommen zu werden mit Zärtlichkeit und ohne Verurteilung, sie haben Hunger und Durst nach Vertrauen und Hoffnung. Ich erzittere plötzlich vor dieser Nähe,wie bei einem Kurzschluss,bei dem man Gott nahe kommt.Worte erhellen diese Nacht:„Er hatte keine schöne und edle Gestalt,so dass wir ihn anschauen mochten.Er sah nicht so aus,dass wir Gefallen fanden an ihm.Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden,ein Mann voller Schmerzen,mit Krankheit vertraut.Wie einer,vor dem man das Gesicht verhüllt,war er verachtet,wir schätzten ihn nicht.“ (Jes 52,2–3) „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5) Und das ist schon Karfreitag.Das Geheimnis der Erlösung erreicht uns alle in diesem armen Zusammensein.Ja,wir sind da,mit dem Wunsch,die Liebe zu bedeuten und anzunehmen,die niemanden verlässt und die viel stärker ist als alle Finsternis und als jeder Tod. Den einen oder anderen dieser Freunde zu verlassen,sie wieder in der Nacht zu lassen,die da ist und die durch ihr Leben läuft,wieder zu sich zurück zu kommen,das ist hart:Wie kann ich sie in ihrer Einsamkeit lassen? Ein kleines Gebet kommt mir zu Hilfe, manchesWort kann ich mit der Stimme sagen, wenn es möglich ist,oder ich lasse es im Geheimnis meines Herzens in dem Moment, in dem ich sie wieder verlasse:„Mag Gott deine Nacht segnen!“ So vertraue ich sie Gott an.Und noch einmal,zurück in der Kapelle, bevor ich mich hinlege,wie ein letztes Rufen oder Zurückrufen des Tages. Ein Gebet, in dem sich Vertrauen mit Sorge mischt, ein Gebet des Überlassens und der Frage … „Er gehört dir,Herr,sie gehören dir,Herr,vergiss sie nicht!“ Und dann weiter:„Gib ihm,gib ihnen … bitte ich dich … einen guten Schlaf, und,wenn möglich,eine Nacht ohne Regen, Amen.“■ Kleine Schwester Patrizia

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