Jesuiten 2010-4

Dezember 2010/4 Jesuiten 21 Schwerpunkt Gott in den Ohren liegen Es gibt immer wieder Situationen,die wir als besonders belastend oder befreiend empfinden – sei es in unserem eigenen Alltag oder in dem uns nahe stehender Menschen.Angst, Schmerz,Ärger wie auch Freude und Dankbarkeit suchen dann spontan Ausdruck in Worten.Bei religiös gestimmten Menschen geschieht dies häufig in Form von Stoßgebeten.In der Bibel finden sich viele Beispiele dafür:die Schreie der Israeliten in Knechtschaft oder Hungersnot,ihr Jubel nach dem Sieg über die Feinde,das Hadern der Propheten mit ihrem Amt,die Klage- oder Dankrufe des Psalmisten.Jesu Gebetsweise steht ganz in dieser Tradition.Wir kennen ihn Gott freudig lobend, aber auch in Todesangst inständig bittend und schließlich am Kreuz in Gottverlassenheit aufschreiend. Auch Ignatius von Loyola hat sich in Stoßgebeten an Gott gewandt.Als ihn Selbstmordgedanken plagten,rief er immer wieder: „Herr,ich werde nichts tun,was dich beleidigt!“ Ein anderes überliefertes Stoßgebet lautet:„Mein Gott,wenn dich die Menschen kennen würden!“ Und in seiner Sterbestunde hörte man ihn seufzen „Ay Dios,Ay Jesus“ „O Gott,O Jesus“. Stoßgebete sind Ausdruck von starken Gefühlen.Indem wir sie äußern,erfahren wir Trost und Hilfe in unserem Alltag.Bei meiner Arbeit als Seelsorger in der Abschiebehaft begegne ich häufig Menschen,die sich in großer Unruhe befinden.Sie fragen:„Warum bin ich eigentlich eingesperrt? Ich habe doch nichts verbrochen.“ Tatsächlich ist Abschiebehaft lediglich eine Verwaltungsmaßnahme zur Sicherung der Ausreise.Sie dauert mitunter nur wenigeWochen, kann sich aber auch über viele Monate hinziehen.Dementsprechend groß ist die Unsicherheit der Betroffenen: nicht allein über die Haftdauer,sondern auch über den Ausgang des Verfahrens – ob es tatsächlich zur Abschiebung kommt oder aber zur Freilassung.Meine Stoßgebete begleiten diese Unsicherheit und werden je nachdem zu Fürbitten und Dankrufen. Wie kann man nun konkret beten? EineWeise ist der Seufzer oder Jubelruf,wie er gerade über die Lippen kommt.Eine andere die immer gleiche Verwendung einer Gebetsformel wie etwa „Herr,erbarme dich!“. Wieder eine andere der einfache Anruf des Namens Jesu,in manchen Gegenden traditionell erweitert auf „Jesus Maria (und Josef)!“.Dem eigenenTemperament sind keine Grenzen gesetzt.Letztlich geht es darum,dass wir Gott nicht in Ruhe lassen mit dem,was uns bewegt. ■ Dieter Müller SJ Ignatius von Loyola:Gemälde von S.Conga (um 1750). Jesuiten-Universität Salamanca ©SJ-Bild

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