Jesuiten 2010-4

gerade Gegenwart ist,muss sich eigentlich nicht besonders darüber wundern,dass er große Schwierigkeiten dabei hat,Gott,der gegenwärtig ist,wahrzunehmen und zu spüren. Genau deswegen verweist der Zen-Meister den Schüler auf die Tür.An der Art und Weise, wie der junge Mann mit der Tür umgeht, zeigt sich etwas davon,ob er in der Gegenwart lebt oder nicht. Die Art und Weise, wie er mit der Tür umgeht,kann ihn lehren,in der Gegenwart zu leben.Ich kenne das von mir nur zu gut:Wenn ich das Haus verlasse und in Gedanken daran versunken bin,was denn wohl derTag an Arbeit und Überraschungen mit sich bringen wird,dann kann es schon einmal passieren,dass ich die Haustüre offen lasse,dass ich den Hausschlüssel vergesse und dass ich im Haus mit den Türen knalle. Dieses Beispiel wäre missverstanden,wenn man es moralisch oder gar im Sinne eines Plädoyers für Langsamkeit oder Betulichkeit interpretieren würde.Der Punkt ist nicht,dass man Türen nicht zuknallen soll, weil es die Mitbewohner nervt.Der Punkt ist,das sich am Umgang mit der Tür etwas über einen selbst zeigt (was freilich nicht selten die anderen eher wahrnehmen können als man selbst!):Wo ist man selbst? Ist man mit seinen Gedanken und Gefühlen an dem Ort und mit den Menschen zusammen,an dem man physisch mit seinem Körper ist,oder ist man im Grunde ganz woanders? „Anwesend sind sie abwesend“ hatte schon vor über 2500 Jahren der griechische Philosoph Heraklit über den Durchschnittsmenschen seiner Zeit gesagt – wie sehr gilt das auch noch heute! In der Gegenwart zu leben um dort,in der Gegenwart,Gott zu erfahren,heißt nicht,dass es nicht Zeiten im Leben eines Menschen gibt, in denen man sich intensiv mit der Vergangenheit und der Zukunft beschäftigen muss.Im Leben von vielen Menschen gibt es Erlebnisse,die angeschaut und aufgearbeitet werden müssen,wenn der Mensch sich zu einer freien und liebesfähigen Person entwickeln möchte.Und natürlich muss man sich immer wieder intensiv mit Zukunftsfragen beschäftigen.Aber es ist eine Sache,sich in der Gegenwart so gut und klar wie möglich der eigenenVergangenheit und Zukunft zu stellen – also im Jetzt über die Vergangenheit und Zukunft nachzudenken –,und eine ganz andere Sache,um sich zu kreisen,zu grübeln und mit seinen Gefühlen,Sorgen,Gedankenfetzen,Tagträumen und Phantasien an der Vergangenheit und Zukunft zu kleben.In der Gegenwart leben bedeutet,mit der ganzen Aufmerksamkeit bei den Menschen,Projekten und den Aufgaben zu sein,die gerade anstehen. Es ist die Aufmerksamkeit für die Realität und Gegenwart meines Alltags,in der die Erfahrung der Gegenwart Gottes wächst.Eine alte Übung,die in die Erfahrung der Gegenwart hineinführen soll,besteht darin,die Aufmerksamkeit auf den eigenen Atem zu richten und nichts weiter zu tun als zu schauen,wie man selbst kontinuierlich ein- und ausatmet.Wenn Sie selbst einmal versuchen wollen,auf Ihren eigenen Atem zu achten, dann werden Sie schnell feststellen,dass es am Anfang nur sehr kurz gelingt,wirklich bei der Beobachtung des Atems zu bleiben.Viele Störungen stellen sich schnell ein:Man möchte beginnen,bewusst zu atmen,um den Atmen besser zu spüren und kommt dabei ganz außer Atem – anstatt einfach nur wahrzunehmen,wie der Atem ganz ohne unser Zutun ein- und ausströmt.Oder man spürt,dass es vielleicht in der ersten Minute sehr erholsam ist, nur dem Atem zuzuschauen,dann aber schnell durch Gedanken an etwas in der Vergangenheit oder Zukunft abgelenkt wird und es nur schwer gelingt, bei der Wahrnehmung des Atmens zu bleiben.Aber die Erfahrung zeigt:Wer regelmäßig diese Übung macht,der wird langsam aber sicher in den faszinierenden Sog der liebenden und tröstenden Gegenwart Gottes in unserem Alltag geführt. Meine Empfehlung: Einfach mal probieren! ■ Michael Bordt SJ 4 Jesuiten Schwerpunkt: Heiliger Alltag

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