Jesuiten 2010-4

Dezember 2010/4 Jesuiten 3 Schwerpunkt Aufmerksamkeit für die Gegenwart Unter den vielen Namen und Charakterisierungen Gottes im Alten und Neuen Testament finden sich an prominenten Stellen solche,die von der Gegenwart Gottes sprechen.Man denke nur an Gottes Offenbarung an Mose im Dornenbusch.Als Mose nach dem Namen dessen fragt,der ihn aus dem Dornenbusch anspricht,bekommt er zur Antwort „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ex 3,14).Ein anderes Beispiel ist das Ende des Matthäusevangeliums – Jesus gibt seinen Jüngern dieVerheißung „Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 18,20).Der Römerbrief bestimmt diese Gegenwart als Gegenwart Gottes in uns:Der Heilige Geist,Gott in uns,betet kontinuierlich zumVater (vgl. Röm 8).Für manche Menschen ist diese Gegenwart Gottes eher ein Problem als eine froh machende Botschaft:Wir wollen zwar glauben,dass Gott da ist,aber wir spüren ihn in unserem Alltag nur sehr selten,wenn überhaupt.Wir glauben,dass Gott gegenwärtig ist,aber dieser Glaube ändert unser Leben nicht wirklich.Viele Menschen haben den Eindruck, dass ihr Alltag und ihr Glaube nur schwer miteinander zu vermitteln sind.Wie bekommt man den Glauben in den Alltag hinein? Wie kann man – bildlich gesprochen – den Himmel auf die Erde herunterziehen? In der buddhistischen Zen-Tradition gibt es eine Geschichte,in der ein junger Mönch einen Meister sucht, der ihm den Weg der Meditation lehren kann.Endlich hat er es geschafft und darf einen der bedeutendsten Zen-Lehrer besuchen.„Wer kann mich den Weg der Meditation lehren?“ fragt er den Meister.Dieser weist mit dem Finger auf die Tür,durch die der Schüler hineingekommen ist. Der junge Mönch versteht die Antwort nicht,stellt dieselbe Frage noch einmal und bekommt wieder dieselbe Antwort:Es ist die Tür, die ihm den Weg der Meditation lehren kann. Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich etwas abwegig zu sein, ausgerechnet eine Tür als ein Mittel anzusehen, das einen denWeg der Meditation, oder, anders gesprochen, den Weg zur Gegenwart Gottes lehren kann.Aber könnte es nicht sein,dass wir die Gegenwart Gottes so schwer spüren und kaum kraftvoll aus ihr leben können,weil wir selbst nicht in der Gegenwart leben? Natürlich leben wir in einer Hinsicht immer in der Gegenwart,denn immer ist Gegenwart,während wir leben. Keiner kann sich mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit oder die Zukunft „beamen“ – so etwas gibt es nur im Film,möchte man meinen.Tatsächlich aber sieht unser Leben oft ganz anders aus.Während wir zwar in der Gegenwart leben,sind wir mit der Aufmerksamkeit nicht in der Gegenwart,sondern in der Vergangenheit oder der Zukunft.Was uns eigentlich beschäftigt,ist nicht das,was in der Gegenwart gegeben ist,sondern das,was wir in der Vergangenheit erlebt haben und was wir vielleicht in der Zukunft erleben werden. Ärger über Dinge,die uns misslungen sind, Zorn über Menschen,die uns verletzt haben, drückende Schuldgefühle oder aber auch freudige Erinnerungen an Vergangenes beschäftigen uns in der Gegenwart ebenso wie Sorgen über die Zukunft,Freude oder Ängste über Ereignisse,die kommen werden.Mit unseren Gedanken,und mehr noch:auch mit unseren Gefühlen leben wir häufig nicht im Hier und Jetzt,also in der Gegenwart,sondern sind mit Vergangenem und Zukünftigem beschäftigt. Wer mit seinen Gefühlen und Gedanken nicht in der Gegenwart ist,wer nicht bei dem ist,was

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