Jesuiten 2011-1

8 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Schöpfung in Evolution Glaube und Naturwissenschaft „Mit Recht gilt ein Mensch dann als erwachsen,wenn er mit eigenen Mitteln zwischen wahr und falsch unterscheiden kann,indem er sich über die objektiveWirklichkeit der Dinge sein Urteil bildet.Hier liegt der Grund zu vielen Forschungen,besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften,die in den letzten Jahrhunderten so bedeutsame Ergebnisse erbracht und damit einen echten Fortschritt der gesamten Menschheit gefördert haben.“ (Johannes Paul II.,Enzyklika „Fides et ratio“) Mehr als je zuvor werden die Welt und das Weltbild beeinflusst und geformt durch die so genannten „hard sciences“ (Physik,Chemie, Biologie etc.) bzw.von wissenschaftlichen Technologien (z.B.Ökologie,Gentechnik, Neurowissenschaften).Niemand,der heute ernst genommen werden will,kann sich von einer gewissen Minimalkenntnis der Methoden und Inhalte der (Natur-)Wissenschaften dispensieren. In unserer Kultur ist die Fähigkeit zu wissenschaftlich-technologischer Urteilsfähigkeit stärker gefordert als je zuvor.Interdisziplinäres Denken und fächerübergreifende Dialogfähigkeit sind wichtig,um szientistischen Einseitigkeiten und einer irrationalen ökologisch-holistischen Naturverklärung gegenzusteuern. Kirchlicherseits sehe ich zurzeit die Gefahr geistiger Ghettobildung:sich selbstgenügsam auf sich selbst zu beschränken.Gerade neuereTheologie vermittelt gelegentlich den Eindruck,im Grunde genommen alles verstanden zu haben. Nur so kann ich mir erklären,dass sich engagierte Christen z.B.zu Fragen der Gentechnik äußern,ohne zu wissen,was ein Gen ist.Oder Theologen,die von der „Bewahrung der Schöpfung“ reden,ohne zu merken,dass sie damit einem naiv vor-evolutionistischen Weltverständnis dasWort reden.Stehen wir nicht mitten im Evolutionsprozess? Sind wir als „Ebenbild“ des Schöpfers nicht verpflichtet,den Evolutionsprozess kreativ mit allen,auch gentechnischen Mitteln voranzutreiben? Das lautstarke „ökologische Engagement“ wissenschaftlich halbgebildeter Christen hat mich während meiner Tätigkeit als Biologe schmerzlich erleben lassen,dass gerade intellektuell redliche Wissenschaftler dadurch der Kirche nachhaltig entfremdet werden.Mit einer „Vermittlung“ zwischen Wissenschaften und Theologie hat es so seine Schwierigkeiten: Mit Theologen oder Philosophen, die nach null Semestern (natur-)wissenschaftlicher Ausbildung „die Aporien der Naturwissenschaften“ zum Ausgangspunkt ihres Denkens machen,ist eine Diskussion natürlich von vornherein ausgeschlossen.Und solche,die die Wissenschaften nur zu dem Zweck rezipieren, um ihnen „vom Boden der theologischenTradition aus kritisch entgegenzutreten“,verkennen, dass Theologie und Philosophie überhaupt erst wissenschaftlichen Boden unter die Füße bekommen müssen. Umgekehrt gilt aber auch: „DerWissenschaftler ist sich wohl bewusst,dass die Suche nach der Wahrheit, auch wenn sie eine begrenzte Wirklichkeit der Welt oder des Menschen betrifft,nie ans Ende kommt,sondern immer zu etwas hinführt,das über dem unmittelbaren Forschungsgegenstand liegt;sie führt zu Fragen,die den Zugang zum Geheimnis ermöglichen.“ (Johannes Paul II.,„Fides et ratio“) ■ Johannes Seidel SJ

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