Jesuiten 2011-1

Die Welt erforschen Gott finden ISSN 1613-3889 2011/1 Jesuiten

Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Die Welt im Licht Gottes 6 Impulse 7 Auf Augenhöhe mit der Schöpfung 8 Schöpfung in Evolution 10 Physik 12 Umwelt und Schöpfung 14 Kontemplation 16 Theologie 18 Malerei 20 Schöne Natur nur für Reiche? Geistlicher Impuls 22 Gott ist da Nachrichten 24 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 28 Jubilare Verstorbene Medien 29 CD-Hörbuch: Auf dem Rückflug zur Erde Vorgestellt 30 Exerzitien auf der Straße 33 Autoren dieser Ausgabe 34 Freunde der Gesellschaft Jesu e.V. Spenden 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland Inhalt Ausgabe 2011/1 2011/1 Titelbild und Farbzeichnungen in dieser Ausgabe: © Tobias Zimmermann SJ Zeichnung auf S.7 von Gerard Manley Hopkins

März 2011/1 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, wer würde sich nicht freuen,wenn er oder sie eine Aufgabe gut gemeistert hat?Wenn aus der alltäglichen Arbeit,manchmal schon gar nicht mehr erhofft,ein Ergebnis sichtbar wird,das erstaunen lässt.So viel Kleinkram,der vielleicht mühselig zusammengeflickt werden musste – und schließlich ist doch etwas Neues,etwas Unerwartetes entstanden,über das die langen Arbeitsstunden vergessen werden. Der Mensch,so sind wir Christen überzeugt, ist geschaffen als Gottes Ebenbild.Darum ist es Menschen nicht fremd,etwas zu erschaffen – auch wenn es uns selten gelingt,aus Nichts etwas zu machen. Manche lassen sich von der Welt, von Gottes Schöpfung,dazu anregen,selbst schöpferisch zu werden.Andere wollen verstehen,wie dies alles funktioniert,und erforschen mit Hilfe naturwissenschaftlicher Fragen die Ordnung dieser Welt.Wieder andere lassen sich künstlerisch inspirieren oder sie verstummen erstaunt vor der Größe und Kraft,oder sie engagieren sich für die Erhaltung der Natur. Jesuiten haben sich über Jahrhunderte in den verschiedensten Feldern mit der Schöpfung auseinandergesetzt.Darum will dieses Heft einige Jesuiten und ihre verschiedenen Zugänge zur Schöpfung und zur Welt vorstellen. Sehr unterschiedliche Wege und Positionen aus mehreren Jahrhunderten werden dabei sichtbar, ohne dass wir das Thema abschließend behandeln wollten.Theologie, Naturwissenschaft,Kunst,Philosophie und nicht zuletzt das Gebet kommen als mögliche Erfahrungsräume zur Sprache.Auch unsere Bilder vonTobias Zimmermann SJ, mit denen wir diese Ausgabe durchgehend illustrieren, sind vom Thema der Schöpfung und des Schaffens inspiriert. Schließlich freuen wir uns sehr,dass die Zeugnisse einzelner Jesuiten mit dem persönlichen Zugang eines renommierten Wissenschaftlers ergänzt werden konnten.Wir danken Professor Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sehr herzlich für seine Bereitschaft,sich als Gastschreiber zu engagieren,und wünschen allen Lesern und Leserinnen eine inspirierende Lektüre. Bernd Hagenkord SJ René Pachmann SJ Tobias Specker SJ

2 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Die Welt im Lichte Gottes Vor einigen Jahren kam meine Schwester mit ihren kleinen Kindern zu Besuch.Wir saßen zunächst in meinem Büro.Ich gab den Kindern ein Spielzeugauto,damit sie etwas zu tun hatten,und zeigte meiner Schwester das Haus. Als wir zurück ins Büro kamen,fanden wir folgende Situation.Der Junge hatte einige Bücher auf dem Boden aufgeschichtet.So konnte er mit Hilfe meines langen Lineals vom Bücherturm aus eine Schräge bilden,um das Auto fahren zu lassen.Meine Notizzettel waren zu Eintrittskarten für das Autorennen geworden,mit dem Locher wurden sie entwertet. Die große Pappröhre zum Versenden von Bauplänen diente jetzt als Autotunnel.Dieser Tunnel endete im Topf meiner Zimmerpflanze,damit das Auto in den „Wald“ rasen konnte.Die Ältere hatte sich an meinem eingeschalteten Computer zu schaffen gemacht und war sehr enttäuscht, im Verzeichnis „Spiele“ nur die langweiligen Standardspiele zu finden, die beim Kauf mitgeliefert werden.Sie beschwerte sich,dass ihr Onkel gar keine interessanten Spiele in seinem PC habe.Die Kleine war dabei,immer wieder auf meinem Schreibtisch zu klettern,weil sie von dort mit einem kühnen Sprung in einem weichen Sessel landen konnte.Mein Büro war zu einer Spielstube geworden.Kinder wollen spielen.Sie schaffen es,alle Dinge dieserWelt zu Spielzeugen zu machen. Genial! Wir Erwachsenen brauchen keine Spielstube mehr.Aber wir neigen dazu,mit den Dingen dieser Welt so umzugehen wie die Kinder mit meinem Büro.Häufig nutzen und benutzen wir die Dinge dieser Welt allein nach unseren Bedürfnissen. Die Welt ist unser Selbstbedienungsladen geworden,und jeder weiß inzwischen,dass dies ohne Umweltbewusstsein und klare Regeln zu einer ökologischen Katastrophe führen kann.Und damit rühren wir an ganz elementare Fragen:Wozu sind denn die Dinge dieser Welt da? Und wozu ist der Mensch da, der die Dinge dieser Welt gebraucht? Wozu sind wir Menschen und wozu sind die Dinge dieser Welt geschaffen? Die Generation der über 55-Jährigen musste in der Schule noch aus dem alten grünen Katechismus das Frage-Antwort-Spiel lernen: „Wozu sind wir auf Erden?“ Antwort:„Um Gott zu lieben,ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Die ersten Jesuiten (z.B.Petrus Canisius) haben im 16.Jahrhundert intensiv damit begonnen,diese Art von Katechismus zu lehren,zu drucken und zu verbreiten.Die Leute sollten ihren Glauben kennen,um nicht jeder neuen Lehre nachzulaufen. Die erste Katechismusfrage „Wozu sind wir auf Erden?“ ist uralt,doch hat unser Ordensgründer Ignatius von Loyola sie zum Ausgangspunkt des geistlichen Weges gemacht, den er lehrte.Seine geistlichen Übungen,die Exerzitien,möchten die Menschen wieder an das rückbinden,was ihrem Leben den Anfang gab und was ihrem Leben Hoffnung und Halt

März 2011/1 Jesuiten 3 gibt. So beginnt der Text der Exerzitien mit dem Satz:„Der Mensch ist geschaffen,um Gott,unseren Herrn,zu loben,ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und so seine Seele zu retten.“ Ignatius geht davon aus,dass der Mensch als freies Wesen geschaffen ist. Er ist von Gott ins Dasein gerufen und ist frei,mit seinem Leben diesem Gott zu antworten.Er kann ihn loben und ihm dienen,er kann aber auch das genaue Gegenteil tun,nämlich die Existenz Gottes leugnen und sein Leben an ganz anderen Maßstäben ausrichten.Die Freiheit dazu hat er,doch hält Ignatius die Leugnung Gottes und dieVerweigerung einer Antwort für den größten Fehler,den ein Mensch begehen kann. Wenn es die ursprüngliche Berufung jedes Menschen ist,Gott mit seinem ganzen Leben zu antworten,dann stellt sich von selbst die Frage:Und was ist mit all den anderen Dingen dieserWelt?Wozu sind diese da? „Die übrigen Dinge auf dem Angesicht der Erde sind für den Mensch geschaffen,damit sie ihm zurVerwirklichung des Zieles helfen,für das er geschaffen ist“ – fährt das Exerzitienbuch fort.Alles also, was es sonst auf derWelt gibt, ist für den Menschen geschaffen.So wie die Kinder in meinem Büro spontan davon ausgingen,dass alle Dinge dazu da sind,um mit ihnen spielen zu können,so kann der glaubende Mensch davon ausgehen, dass alles auf dieserWelt, die sichtbaren und die unsichtbaren Wirklichkeiten, für ihn da sind,damit er Gott besser verehren und ihm besser dienen kann. Aus dieser Sicht der Bestimmung des Menschen und der anderen Dinge folgt eine nüchtern positive Einstellung zur Welt, eine Art Indifferenz.Jeder kann alle Dinge ruhig und wohlwollend anschauen,um zu verstehen,ob sie ihm zu seinem Ziel helfen oder nicht.Karl Rahner nannte dies eine „Mystik der Weltfreudigkeit“.Als die ersten Jesuiten um Franz Xaver mit der Missionstätigkeit in Asien begannen,sind sie in dieser Haltung auf die Menschen anderer Sprachen,Kulturen und Religionen zugegangen:schauen,was an Positivem darin zu finden ist.Ähnlich war der Umgang mit den Naturwissenschaften und den Humanwissenschaften.Diese Haltung sprengt die Grenzen des bisher Bekannten und Gewohnten.Sie öffnet für ganz neue Erfahrungen mit derWelt und somit auch mit Gott, welcher ja der Schöpfer aller Dinge ist. Und wie finde ich heraus,wie ich die Dinge dieser Welt gebrauchen soll? Der lange geistliche Weg, den Ignatius in seinen Exerzitien lehrt,will im glaubenden Menschen ein Gespür dafür wecken,welcher Umgang mit derWelt der persönlichen Beziehung zu Gott hilft und welcher nicht. Dabei ist für ihn die Person Jesu Christi der zentrale Orientierungspunkt.Unermüdlich werden in den Exerzitien die Person Jesu,sein Wirken,seine Botschaft und seine Haltungen betrachtet.So kann man ihm ähnlich werden. Der Bericht von denVersuchungen Jesu in der

Wüste (Mt 4,1-11) zeigt diese Unterscheidungsgabe Jesu glasklar.So bietet derVersucher Jesus im dritten Anlauf an,ihm alle Reiche dieser Welt und deren Pracht zu geben, wenn er niederfalle und ihn anbete.Sind weltliche Macht und unermesslicher Wohlstand mehr wert als die Treue zu Gott? Dieses Thema durchzieht die christliche Kultur,wie im Schauspiel „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal oder in der Tragödie des Dr. Faustus.Jemand kann sich so an etwas Irdisches hängen,dass er dabei seine Seele verkauft.Er glaubt, die Welt gewonnen zu haben und verfehlt das Ziel seiner Seele,er verliert Gott.Darum bedeutet ein intensives Leben aus dem Glauben nicht nur „Weltfreudigkeit“,sondern auch „Weltflucht“.Es gilt mit allen Kräften das zu meiden,was mich von Gott trennen kann. Wer diesen Weg geht, schaut auf Jesus und spricht mit ihm über seinen Abstieg,seinen Weg zu den Menschen,seine Niedrigkeit und seine Leiden in dieser Welt. Er beginnt zu verstehen, dass die „eitle Ehre dieser Welt“, das heißt der selbstgefällige Hochmut,die radikalste Haltung ist,die einen Menschen in die Gottesferne führt. Ignatius nennt diesen Klärungsprozess „Unterscheidung der Geister“.Die Erfahrung des geistlichen Trostes ist eine innere Regung, die mehr zu Gott hinführt.Die Seele spürt die Nähe Gottes und wird darin bestärkt.Die Erfahrung der Trostlosigkeit bewirkt das Gegenteil.Beim Umgang und Gebrauch der weltlichen Dinge ist es entscheidend,ob der Mensch dadurch mehr zu Gott findet oder nicht.Ignatius nennt es Trost, wenn ein Mensch kein geschaffenes Ding dieser Welt um seiner selbst willen liebt,sondern in der Liebe zu diesem geschaffenen Ding die Liebe zu Gott findet. So gibt er als Regel für die jungen Menschen, die sich auf den von ihm vorgezeichnetenWeg des Glaubens machen:Alle sollen sich in großer Klarheit darum bemühen,„dem gütigen Gott um seiner selbst willen zu dienen und zu gefallen und wegen der Liebe und den so einzigartigen Wohltaten, womit er uns zuvorgekommen ist.… Und man ermahne sie häufig, in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen,indem sie,so sehr es möglich ist,die Liebe zu allen Geschöpfen von sich entfernen,um sie auf deren Schöpfer zu richten und ihn in allen Dingen zu lieben und alle in ihm,gemäß seinem heiligsten und göttlichen Willen.“ (Satzungen der Gesellschaft Jesu,Nr.288). Das ist der Kern der ignatianischen Mystik:die Dinge dieser Welt im Licht Gottes betrachten. Dies entfacht im Menschen das Feuer seiner Liebe. Die Offenheit für die Dinge dieserWelt zeichnet den glaubenden Menschen aus.Doch da er weiß,dass sich seine Seele auch ganz an das Irdische hängen kann,braucht er in gleicher Weise viel Distanz, wenn auf dem Spiel steht,Gott zu verlieren.Die Kinder spielten ihr Spiel in meinem Büro.Gott lädt jeden Menschen ein,sein „Spiel“ mitzuspielen und so die Dinge dieser Welt in rechter Weise zu gebrauchen. ■ Franz Meures SJ 4 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden

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6 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Impulse Pierre Teilhard de Chardin „Herr,da ich heute,ich Dein Priester,weder Brot nochWein noch Altar habe, will ich meine Hände über das All des Universums breiten und seine Unermesslichkeit zur Materie meines Opfers nehmen. Ist nicht der unendliche Kreis der Dinge die endgültige Hostie,die Du verwandeln willst? Ist nicht der überschäumende Schmelztiegel, darin sich die Tätigkeiten jeder lebendigen und kosmischen Substanz vermengen und sieden,der Schmerzenskelch,den Du zu heiligen wünschst? Es gibt eine Weise, die Welt zu betrachten,die uns in ihr nichts als eine Summe ungleichartiger oder feindlicher Elemente sehen lässt.Überall um uns her,so scheint es, unheilbareTrennung und angeborenerWiderstreit.Überall das Gemeine ins Kostbare gemischt – der Weizen Seite an Seite mit dem Unkraut.Überall Nutzlosigkeit,Ausschuss, Abraum...Du hast mir die Gabe verliehen, mein Gott,unter dieser Zusammenhanglosigkeit der Oberfläche die lebendige und tiefe Einheit zu fühlen,welche Deine Gnade erbarmungsvoll über unser verzweifeltes Vielerlei geworfen hat. Du hast mir die wesentliche Berufung der Welt enthüllt, sich zu einem Teil, der aus all ihrem Sein ausgewählt ist,in die Fülle Deines fleischgewordenen Wortes zu vollenden.“ Pierre Teilhard de Chardin SJ: Frühe Schriften. Freiburg/München 1968,251-252. Carlo Maria Martini Die jüdischen Schriftgelehrten erzählen davon, wie Abraham Gott kennengelernt haben könnte: Unter den verschiedenen Weisen,die sie erwägen,ist auch das poetische und romantische Bild eines Abraham,der in den Himmel blickt:Abraham schaut auf zu den Sternen und spürt,dass dort etwas mehr ist;es muss jemanden geben,der diese Dinge beherrscht,der sie in der Hand hat.Er spürt in sich eine tiefe Verehrung, eine Anbetung gegenüber jenem Geheimnis,das ihn ergreift. Und so kommt er allmählich zu jener natürlichen religiösen Erfahrung, die ihre Tiefe und ihren Reichtum hat;sie ist an die Natur und den Kosmos gebunden und wird fähig,aus dem Innersten heraus das Leben zu prägen. Aber auch diese Erfahrung ist zwiespältig; denn sie wurde durch eine persönlicheVertiefung erworben und ist daher begrenzt auf dieses Blickfeld,auf die Beziehung zwischen Gott und dem Kosmos.Das ist die Grenze der Glaubenserfahrung,ihr Hindernis,vielleicht sogar eine Verzerrung des Wortes Gottes. Sie führt dazu,dass man sich mit einer vagen Religiosität begnügt,die zwar vertrauensvoll ist,aber die aus sich selbst heraus beten will.Jeder von uns hat etwas davon in sich.Abraham wird zuletzt vom Wort Gottes bekehrt. Er versteht, dass Gott der Absolute ist,der ganz Andere, voller Licht und voller Anziehungskraft. Er erkennt den Gott,der in Freiheit spricht und handelt,der eingreift in sein Leben wie Er will, nicht wie er es sich vorstellt,nicht nach dem Maßstab des Kosmos,sondern in unvorhersehbarer Weise. Dieser Gott ist der NichtErforschbare,der Unerkannte. Carlo Maria Martini SJ: Abraham, der Weg eines Suchenden. München 1985, 33-35

März 2011/1 Jesuiten 7 Schwerpunkt Auf Augenhöhe mit der Schöpfung „Ich habe jetzt das Gesetz der Eichenblätter gefunden.Es besteht ganz und gar aus tellerförmigen Sternen;die Blätter liegen beisammen wie Buchseiten.“ Diese Zeilen schreibt Gerard Manley Hopkins am 19.Juli 1866 in sein Tagebuch. Sie stellen die Empathie des Dichters heraus,der die Natur liebte und Augen- und Büchermensch war. Hopkins wurde 1844 in Stratford (Essex) geboren.Durch die Oxfordbewegung um Kardinal John Henry Newman wurde er mit 22 Jahren katholisch und schon zwei Jahre später Jesuit.Da es in den Geistlichen Übungen des Hl.Ignatius um die Anwendung der fünf Sinne geht,war der junge Konvertit hier theoretisch gut aufgehoben.Allein – im 19. Jahrhundert neigten die Jesuiten zu übertriebener Askese,was zarte Gemüter wie Hopkins mit der Zeit auszehrte.Vor dem Eintritt verbrannte er sein Frühwerk und dies geschah vermutlich mit weiteren Schriftstücken auch nach seinem Tod.Wer die Lyrik von Hopkins liest,wird überwältigt von Sprache,Rhythmus und Musik.Man kann sie wie eine Partitur lesen.Zu Lebzeiten wurde keine einzige Zeile von Hopkins veröffentlicht,stattdessen unterrichtete er klassische Sprachen.Erst 1918 veröffentlichte der Dichterfreund Robert Bridges seine Lyrik,fast 30 Jahre nach seinem Tod durch Typhus. Hopkins hinterließ Gedichte, in denen auch griechischesVersmaß steckt.Wie Orpheus hat er die Schöpfung besungen.„Mit Gottes Pracht die Erde ist geladen“,so übersetzt Dorothea Grünzweig den Text God’s Grandeur. Wie kein anderer saugt Hopkins die Schönheit seiner Umgebung auf.Ob auf Feld,Wald und Wiesen oder im Museum bzw.Konzertsaal – der Dichter lässt sich betören wie der Jubelruf „Hurrahing“ in „Harvest“ (Erntejubel) zeigt: „Der Sommer hört auf;schockend in Schönheit erstehen Hocken / Rundum;hoch oben, welcher Windwurf! welch süße Allüren / von Seidensack-Wolken! hat sich wilder,ich williger-welliger / Je Mehl-Drift geschmiegt und ergossen übers Blau? // Ich geh,hebe auf,heb auf Herz,Augen,/ Hinab all die Pracht in den Himmeln,den Heiland zu lesen;/ Und Augen,Herz,welche Blicke,welche Lippen gaben /Verzückt euch denn Liebesgrüße von wahrerem, klarerem Wesen? ...“ Gott erwidert die Liebe der frommen Seele. Im mystischen Rausch,der einer künstlerischen Eruption sehr nahe kommt,klingen Töne wider,die der späte Franz Liszt komponiert haben könnte.Dieser Zeitgeist liegt uns heute fern.Über die Musik von Henry Purcell (1659-1695),die er liebte,schreibt Hopkins: „Lass ihn mit seinen Engelsmelodien ach! mich heben,überwältigen allein / Ich will ein Auge seinem Merkmal schenken.“ Wie kann ein Christ in Worte fassen, was sich in seinem Innersten abspielt? Gleichnisse aus der Schöpfung liegen nahe.„Nichts von dem, was meine Augen sehen,wandernd über die Welt,/ Ist etwas eine Milch dem Geist so, so seufzt tief / Poesie in ihn,wie Bäume,deren Äste sich ins Blau wiegeln,/ Sagen wir Eschenäste ...“,so beginnt Aschboughs.Für Hopkins sind Bäume wie eine menschliche Biographie. Die Verästelungen kann keiner zählen, aber jeder Zweig wird auf demWeg zu Gott mit Gold aufgewogen. ■ Georg Maria Roers SJ

8 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Schöpfung in Evolution Glaube und Naturwissenschaft „Mit Recht gilt ein Mensch dann als erwachsen,wenn er mit eigenen Mitteln zwischen wahr und falsch unterscheiden kann,indem er sich über die objektiveWirklichkeit der Dinge sein Urteil bildet.Hier liegt der Grund zu vielen Forschungen,besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften,die in den letzten Jahrhunderten so bedeutsame Ergebnisse erbracht und damit einen echten Fortschritt der gesamten Menschheit gefördert haben.“ (Johannes Paul II.,Enzyklika „Fides et ratio“) Mehr als je zuvor werden die Welt und das Weltbild beeinflusst und geformt durch die so genannten „hard sciences“ (Physik,Chemie, Biologie etc.) bzw.von wissenschaftlichen Technologien (z.B.Ökologie,Gentechnik, Neurowissenschaften).Niemand,der heute ernst genommen werden will,kann sich von einer gewissen Minimalkenntnis der Methoden und Inhalte der (Natur-)Wissenschaften dispensieren. In unserer Kultur ist die Fähigkeit zu wissenschaftlich-technologischer Urteilsfähigkeit stärker gefordert als je zuvor.Interdisziplinäres Denken und fächerübergreifende Dialogfähigkeit sind wichtig,um szientistischen Einseitigkeiten und einer irrationalen ökologisch-holistischen Naturverklärung gegenzusteuern. Kirchlicherseits sehe ich zurzeit die Gefahr geistiger Ghettobildung:sich selbstgenügsam auf sich selbst zu beschränken.Gerade neuereTheologie vermittelt gelegentlich den Eindruck,im Grunde genommen alles verstanden zu haben. Nur so kann ich mir erklären,dass sich engagierte Christen z.B.zu Fragen der Gentechnik äußern,ohne zu wissen,was ein Gen ist.Oder Theologen,die von der „Bewahrung der Schöpfung“ reden,ohne zu merken,dass sie damit einem naiv vor-evolutionistischen Weltverständnis dasWort reden.Stehen wir nicht mitten im Evolutionsprozess? Sind wir als „Ebenbild“ des Schöpfers nicht verpflichtet,den Evolutionsprozess kreativ mit allen,auch gentechnischen Mitteln voranzutreiben? Das lautstarke „ökologische Engagement“ wissenschaftlich halbgebildeter Christen hat mich während meiner Tätigkeit als Biologe schmerzlich erleben lassen,dass gerade intellektuell redliche Wissenschaftler dadurch der Kirche nachhaltig entfremdet werden.Mit einer „Vermittlung“ zwischen Wissenschaften und Theologie hat es so seine Schwierigkeiten: Mit Theologen oder Philosophen, die nach null Semestern (natur-)wissenschaftlicher Ausbildung „die Aporien der Naturwissenschaften“ zum Ausgangspunkt ihres Denkens machen,ist eine Diskussion natürlich von vornherein ausgeschlossen.Und solche,die die Wissenschaften nur zu dem Zweck rezipieren, um ihnen „vom Boden der theologischenTradition aus kritisch entgegenzutreten“,verkennen, dass Theologie und Philosophie überhaupt erst wissenschaftlichen Boden unter die Füße bekommen müssen. Umgekehrt gilt aber auch: „DerWissenschaftler ist sich wohl bewusst,dass die Suche nach der Wahrheit, auch wenn sie eine begrenzte Wirklichkeit der Welt oder des Menschen betrifft,nie ans Ende kommt,sondern immer zu etwas hinführt,das über dem unmittelbaren Forschungsgegenstand liegt;sie führt zu Fragen,die den Zugang zum Geheimnis ermöglichen.“ (Johannes Paul II.,„Fides et ratio“) ■ Johannes Seidel SJ

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10 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Physik Die Physik? Das ist die beste Weise, Gott in seiner Schöpfung zu loben! Ich hatte das große Glück,mich fast mein ganzes Leben lang mit der Schöpfung Gottes zu befassen.Und zwar einerseits in der Form der Physik und andererseits in der Auseinandersetzung mit Karl Rahner,der mich gelehrt hat, dass Theologie das Geheimnis Gottes betrachtet,und zwar sowohl als Natur als auch als Gnade.In der Physik war ich nicht eingeschränkt auf einen Bereich,also etwa auf das,was man gewöhnlich Atomphysik oder Kernphysik nennt.In gewissem Sinn musste ich noch nicht einmal zwischen Experimentalphysik oder theoretischer Physik wählen,sondern konnte mich im Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble auf höchstem Niveau an vorderster Front der Forschung in allen diesen Gebieten schöpferisch betätigen.Ich hatte eine sehr wirksame Methode entwickelt,Neutronen zu polarisieren und damit eine neue Art Strahlung verfügbar zu machen.So konnte man in allen diesen Bereichen dieses neue Licht anwenden,um die Dinge dort anzuschauen.Deshalb war es mir in einem sehr weiten Bereich der Schöpfung möglich,neue Einsichten zu gewinnen,von der Biophysik bei der Untersuchung von Ribosomen bis zur Elementarteilchenphysik bei der Untersuchung des Zerfalls von Neutronen in Protonen,Gamma-Strahlen und Neutrinos. So konnte ich also in ganzer Bandbreite sehen, dass die Physik eigentlich die Buchstaben darstellt,mit denen die Schöpfung geschrieben ist. Selbst der Gipfelpunkt der ganzen Schöpfung, Jesus,der Mensch gewordene Gott,braucht z.B. für sein Gedächtnis die physikalische Tatsache, dass die Erinnerung dadurch geschieht,dass an den Enden der Gehirnzellen,an den Synapsen, elektrische Ladungen gespeichert werden.All das geschieht nach physikalischen Gesetzen. Aber gleichzeitig kann man dort,wo man es mit komplexen Dingen der Schöpfung zu tun hat,auch sehen,dass zwar die Buchstaben der Schöpfung die physikalischen Gesetze sind, aber schon die Wörter und erst recht die Sätze der Schöpfung ihren Sinn von woanders her bekommen. Ein Beispiel:Es ist die Eigenart des Menschen, mit seinem Gedächtnis größere Zeiträume zusammenschauen zu können.Damit ist er das Wesen,das in seinen freien Entscheidungen etwas aus sich machen muss,etwas,das sich lohnt, für alle Ewigkeit gespeichert zu werden.Er ist also ein Wesen, das nicht allein in der physikalischen Zeit lebt,in der jeder Moment vergehen muss,damit ein neuer Moment erscheinen kann.In der physikalischen Zeit ist nur eine Art von Gedächtnis möglich:Indem zum Beispiel das Licht im Weltall, um von einem Stern zu uns zu kommen,Milliarden von Jahren braucht,sehen wir in ihm das,was sich vor Milliarden Jahren ereignet hat.Wir sehen also im Sternenlicht eine Entwicklung von Milliarden von Jahren,aber eben doch ohne eine eigentliche Speicherung,die dem Gedächtnis des Menschen eigen ist.Im Gedächtnis des Menschen ist in jedem Augenblick gleichsam die ganze frühere Geschichte dieses Menschen enthalten.Es geht nichts vom Leben verloren. Jede entscheidende Handlung geschieht vielmehr mit allem,was der Mensch bisher aus sich mit oder gegen die Gnade Gottes gemacht hat. Seine Vergangenheit lässt er nicht hinter sich, sondern nimmt sie mit durch die Gegenwart hindurch in die Zukunft. Diese Eigenart des menschlichen Gedächtnisses beginnt sich schon im Lebendigen anzudeuten.So ist zum Beispiel die Pflanze ausgespannt zwischen dem,was sie ist,und dem,was sie sein soll – dem Samenkorn und dem entwickelten Baum mit seinen Jahresringen.Und der eigentliche Kern des Lebens ist die DNS-Dop-

März 2011/1 Jesuiten 11 pelhelix,in der alles gespeichert ist,was zur Bildung des Lebewesens erforderlich ist.Das Leben beruht also von vorneherein darauf,dass das in einem Lebewesen Erreichte durch die biologische Weitergabe eine Art relative Unsterblichkeit in der so gespeicherten Information bekommt.Dies gipfelt dann beim Menschen durch sein geistiges Dasein inVerstand und Freiheit in seiner individuellen Unsterblichkeit. Die Speicherung in der Doppelhelix folgt natürlich auch wieder physikalischen Gesetzen,ist also ebenfalls mit den Buchstaben der Physik geschrieben.Aber die Physik kommt sozusagen nicht selbst auf die Idee, das so zu machen.Denn man braucht ja auch noch das Auslesen des Gespeicherten,um ein Gedächtnis sinnvoll zu machen. Als ich mit dem damaligen Direktor im Institut LaueLangevin über das Thema der Schöpfung sprach,erinnerte er sich an folgende Geschichte:Zu uns an das Institut kam einmal der Bischof von Orleans,weil er Forschung aus der Nähe sehen wollte.Als dieser sich wunderte, was wohl ein Jesuit in dieser Umwelt tue,soll ich gesagt haben:Das,was wir hier tun,ist die beste Art des Lobes Gottes in seiner Schöpfung,eine Art gelebte Sonntagslaudes.Der Bischof war sehr überrascht über diese Antwort. Dem Direktor aber hat sie so gut gefallen,dass er sich noch nach 20 Jahren an meine Antwort erinnern konnte.Denn ein solches Loben Gottes war ihm auch zugänglich und gab seinem Tun eine ganz neue Perspektive. In den Vorlesungen Rahners, die ich vor 50 Jahren mitstenographiert habe,gibt es auch eine Vorlesung über die Schöpfung. In ihr können Sie erfahren, inwiefern das Tun des Forschers schöpferisch sein kann.Denn die Evolution geht weiter,und der Mensch spielt in ihr mit,wenn er neue Möglichkeiten entwickelt, die Dinge zu sehen und anzuwenden,wenn er auf ganz neue Ideen kommt,die die Schöpfung umgestalten und weiterentwickeln.Es ist der Forscher,der an der Schöpfung Gottes mitwirkt. ■ Otto Schärpf SJ

12 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Umwelt und Schöpfung Zur Frage nach Umwelt und Schöpfung kommt man auch,wenn man sich eigentlich mit ganz anderen Themen beschäftigt. Während meiner Ausbildung machte die 32. Generalkongregation einen großen Eindruck auf uns Jesuiten in Indien.Wir begannen,uns an der Basis im „Sozialapostolat“ zu engagieren,für und mit den Armen und denen,um die sich sonst keiner kümmert.Dazu brauchte es aber auch Fachleute,zum Beispiel in Rechtswissenschaften.Und so kam ich zu einem Jurastudium,vor allem,um den Menschen rechtliche Beratung geben zu können.Für mehrere Jahre habe ich Menschen dabei geholfen,eigene Projekte aufzubauen und sich selbst sozial und politisch einzubringen.Glücklicherweise fand 2004 das Weltsozialforum in Mumbai statt.Dafür konnten wir über 1.500 Menschen, vor allem arme Landbewohner, zur Teilnahme an dieser riesigen Konferenz begeistern und ihnen helfen,Nutzen daraus zu ziehen.Es ging um Menschenrechte,um Landrechte und andere ganz praktische Dinge. Im letzten Sommer bekam diese Arbeit dann eine Erweiterung:In Rom haben sich Jesuiten aus aller Welt versammelt, um die Vorgaben unserer letzten Generalkongregation zu erfüllen und Ökologie zu einem Thema zu machen. Es ging um die Wichtigkeit des Umweltschutzes im Einsatz der Jesuiten.Im dritten Dekret der Kongregation geht es darum,wie wir den Bund,den Gott mit seiner ganzen Schöpfung geschlossen hat,wieder oder wieder neu bewusst machen können. Auch die Schöpfung schreit nach Gerechtigkeit.Es geht darum,gerechte und aufrechte Beziehungen aufzubauen:mit Gott,mit dem Nächsten und auch mit der Schöpfung.Diese neue Dimension unseres Tuns hat der Orden für sich festgelegt. Die Erde weint Und hier kamen dann meine Erfahrungen mit dem Anliegen des Ordens zusammen:Das Entwicklungsmodell,das uns beibringen will, dass Wachstum die Lösung für alle Probleme ist,lässt sich nicht mehr halten.Die kapitalorientierte Welt will dieses Wachstum, aber gleichzeitig wissen wir,dass wir die Grundlagen aufbrauchen, sei es Wasser, seien es fossile Brennstoffe.Wir bewegen uns auf eine Krise zu,die die ganze Menschheit herausfordert. Aber auch wenn wir diese Krise schon sehen, schaffen wir es aus politischen Gründen offenbar nicht,Lösungen zu finden.An dieser Stelle lädt nun die Generalkongregation alle Jesuiten dazu ein,genau zu überlegen,was wir tun können.Wir wissen,dass die Erde weint.Die Armen weinen wegen der ökologischen Krise,denn schon wieder tragen sie die schlimmsten Folgen.Natürlich denken die Reichen, dass die Technik sie retten werde, aber die Armen haben keinen Zugang dazu. Ganz deutlich wurde mir das bei der Arbeit mit der Landbevölkerung:Zerstörung der Umwelt ist immer auch gleichzeitig ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit,und wo die Gerechtigkeit zwischen den Menschen nicht geachtet wird,da leidet auch immer die Schöpfung mit. Es gibt selbst Jesuiten,die glauben,dass wir uns weiter auf dieser Art der Entwicklung

März 2011/1 Jesuiten 13 samt Ausbeutung verlassen können, und dass die Wissenschaft uns retten wird. Aber die Situation der Rohstoffe erzählt eine andere Geschichte.Es gibt Konflikte,es gibt Gewalt, und all das wegen der Rohstoffe.Überall da,wo die Völker ihre Rohstoffe schützen wollen – sei es in Indien,in Afrika oder auch Südamerika –,dort gibt es Gewalt. Multinationale Konzerne und reiche Länder wollen die Kontrolle. Riesige Monokulturen entstehen,und damit auch immer Umweltzerstörung.Und was die Erde uns schenkt,das behalten sich die großen Konzerne vor.Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung sind bei uns zwei Seiten derselben Medaille. Ein Recht auf Lebensmittel, auf Wasser und auf Energie gibt es nicht,all das wird den Armen vorenthalten.Hier müssen wir uns fragen,was unser Glauben und unser Gott uns sagen.Ist Er nicht in der gesamten Schöpfung anwesend? Zeigt Er sich nicht in seiner Schöpfung,die wir zerstören? Leidet Er nicht mit der ganzen Schöpfung? Weint Er nicht mit seiner Schöpfung? Der Aufschrei der Armen ist auch der Aufschrei der Erde,beide gehören zusammen.Es ist unsere Aufgabe, als Jesuiten in unseren Arbeiten unseren Beitrag zu leisten,damit die verwundete Welt geheilt wird. Es geht um nichts weniger als die Herrlichkeit Gottes in seiner Schöpfung. ■ Xavier Joseph SJ

14 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Kontemplation Die Schöpfung – Lehrmeisterin des Betens Es riecht nach Harz,das an Arbeitshandschuhen klebt, nach Wald, Moos und Fichtennadeln. Der Wind rauscht durch die Wipfel der Bäume,die Baumstämme knarren in sanfter Bewegung,irgendwo in der Nähe plätschert ein kleiner silberklarer Bach.Die Sonne bricht durch den Morgennebel und inszeniert ein Spiel von Licht und Schatten. Der Waldboden dampft von der aufsteigenden Feuchtigkeit und duftet.Wir machen Pause und Brotzeit nach Stunden der Waldarbeit, wir lehnen die Axt an einen Stamm und genießen Ruhe,Stille und Erholung nach den Anstrengungen der Arbeit.Wir – das sind mein Vater und ich.Ich denke an unsere gemeinsamen Zeiten im Wald, in denen ich lernte, mit und in der Schöpfung zu beten. Diese Erinnerung aus meiner Kindheit und Jugend kommt mir spontan in den Sinn,wenn es um Schöpfung und Beten geht.Doch wie sind Schöpfung und Gebet eigentlich aufeinander bezogen? Ich bemerke für mich,dass die Natur mich beruhigt,meine Gedanken und Gefühle ordnet,mich für etwas öffnet,das ich in der Natur als gegenwärtig erfahre.Die Natur schafft eine Atmosphäre der Ruhe,sie zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich,bringt uns in Dialog und Kontakt mit uns selbst.Sie weckt Grundhaltungen,die essentiell für unser Beten sind,und fördert diese. Meine eigenen Erfahrungen finde ich in der Bibel und bei Ignatius wieder.Der Schöpfungsbericht der Bibel in Genesis 1 lässt als Refrain erklingen:„Gott sah,dass es gut war“.Die Schöpfung ist uns Hilfe,das Gute und Schöne um uns und dann auch in uns wahrzunehmen,es dankbar anzuerkennen und es schließlich auf den Schöpfer zurückzuführen.So kann eine Grundhaltung mir selbst gegenüber wachsen,die der Psalm 139 mit den Worten ausdrückt: „Ich danke Dir, dass Du mich so wunderbar gestaltet hast.Ich weiß, staunenswert sind Deine Werke.“ Staunen, Lob, Dankbarkeit und Annahme meiner Selbst und der Welt als ganzer können so zu einer betenden Grundhaltung werden.Im Matthäusevangelium (6,25-34) fordert uns Jesus zur Betrachtung der Schöpfung auf,um darin die Fürsorge Gottes für uns zu erkennen.Dieses Erkennen möchte zu einer Haltung des Vertrauens und zu einem Leben im „Hier und Jetzt“ ermutigen.Von Ignatius schließlich heißt es:„Die größte Tröstung, die er empfing, war, den Himmel zu schauen und die Sterne.Dies tat er viele Male und über lange Zeit.“ Im Schauen auf die Ordnung des Kosmos ordnet sich für Ignatius der innere Kosmos der Seele, des Gemütes, der Affekte, der inneren Antriebe und Motive.Für Ignatius war die Schöpfung eine Lehrmeisterin des Gebetes: „Wenn er eine Pflanze,einen Grashalm,ein Blatt,eine Blume,irgendeine Frucht sah oder bei der Betrachtung eines Würmleins oder sonst eines Tierleins….gewann er Lehre und sehr nützliche Hinweise für das geistliche Leben.“ In der Schöpfung möchte der Schöpfer sich mitteilen und für uns transparent werden.Ich bin dankbar,dass mir der Kontakt zur Schöpfung von meiner frühesten Kindheit an einen einfachen Zugang zu Gott und eine natürliche Einkehr in mich selbst eröffnet hat.Es ist für mich als Seelsorger schön zu sehen,dass die Natur für viele Menschen einen ganz einfachen Zugang zu Gott ermöglicht. ■ Joachim Hartmann SJ

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16 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Theologie Mein Ringen mit der Schöpfungstheologie Im Drei-Jahres-Rhythmus habe ich seit 1986 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt GeorgenVorlesungen und Seminare zur „Theologie der Schöpfung“ gehalten. Unter all den dogmatischen Traktaten, die mir in den 35 Jahren meiner Lehrtätigkeit übertragen wurden, war das Thema „Schöpfung“ für mich eindeutig die schwierigste Herausforderung.Allein schon die Fülle an Grundkenntnissen,die auf jeden Fall vermittelt werden mussten,kann einen ratlos machen:Der biblische Schöpfungsglaube und sein religionsgeschichtliches Umfeld,die lange kirchliche Glaubenstradition mit vielen komplizierten Themen (z.B. das TheodizeeProblem,die Lehre von der „Erbsünde“ u.a.), das Verhältnis zwischen Schöpfungsglauben und klassischer bzw.moderner Religionsphilosophie,der Einfluss der neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Schöpfungsglauben,die Fragestellung der modernen ökologischen Ethik usw.Von Semester zu Semester habe ich neue Schwerpunkte und Zugangsweisen gewählt,um das Ganze in eine übersichtliche Ordnung zu bringen.Und doch war ich am Ende nie richtig zufrieden mit demVorgetragenen. Die Schöpfungstheologie schien eine (jedenfalls von mir) nicht mehr zu vollendende Baustelle zu bleiben. Erst eine Anregung von Pater Norbert Lohfink SJ und seinem Kollegen Pater Georg Braulik OSB bescherte mir vor etwa zehn Jahren die rettende Inspiration,die mich motivierte, doch noch einmal kurz vor Toresschluss (sprich:Emeritierung) einen neuen Entwurf auszuarbeiten. Ostern:Der Lobgesang der Schöpfung Was war der Auslöser? Der Vorschlag der beiden Fachleute für Altes Testament und Liturgie klang überraschend,aber er ließ mich nicht mehr los:„Geh von der Osternachtliturgie aus und nimm sie als Portal zum eigentlichen Kern des christlichen Schöpfungsglaubens!“ Über zwanzig Jahre lang hatte ich bis dahin mit einer Spessart-Gemeinde die Osternacht in großem Stil gefeiert.Jetzt begann ich,sie auf einmal aus der Perspektive der Schöpfungstheologie ganz neu zu betrachten und zu reflektieren. Und in der Tat: die nächtliche oder morgendliche Feier der Auferstehung Jesu Christi vermag durch ihre reiche Symbolik sehr anschaulich das Tor zumVerstehen des ganzen Dramas der Geschichte Gottes mit seinerWelt zu öffnen – vom Anfang in Schöpfung und Sündenfall an, durch alle Höhen und Tiefen der Geschichte des Volkes Gottes hindurch über die entscheidende Wende zum Heil in Tod und Auferstehung Jesu bis hin schließlich zur Vollendung der Welt in der Auferstehung der Toten. Das alles holt die Osternachtfeier symbolisch-liturgisch in unsere Gegenwart hinein;die Mitfeiernden können mit allen Sinnen erfahren,wie sie mit hineingenommen werden in dieses auch heute noch rettende Handeln Gottes.Denn in verschiedenen Variationen bringt die Liturgie dieses „Festes der Feste“ immer von Neuem das eine zentrale Leitmotiv der bewegten Gottesgeschichte zum Klingen:den Lobgesang der Schöpfung für den rettenden Übergang von der Nacht zum Tag („Es werde Licht!“), von der Schuld zur Versöhnung („Oh selige Schuld!“), vom Tod zum Leben („Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“).

März 2011/1 Jesuiten 17 Je mehr ich dieser Einsicht dann auch in meinem theologischen Denken Raum gab,umso klarer wurden mir zwei Dinge.Zum Einen: Nur in diesem großen Bogen,den die Osternachtliturgie spannt,findet auch die Schöpfung ihren angemessenen Ort im Gefüge unseres Glaubens:Sie ist die „Erstlingsgabe“ der frei-gebigen Liebe Gottes.Darum trägt sie – in aller tiefgehenden Beschädigung durch das Böse und das Leid – doch auch schon viele Zeichen der Hoffnung auf endgültiges Neu- und Heilwerden in sich:auf die „Neue Schöpfung“,die an Ostern anbricht (Röm 8,20ff.).Schöpfung ist christlich nicht ohne Ostern zu verstehen. Und zum anderen:Von dieser theologischen Mitte des Schöpfungsglaubens aus lassen sich zwanglos auch die Verbindungslinien zu den vielen oben genannten Themenkreisen ziehen,wodurch das Ganze doch in eine einigermaßen stimmige,logisch kohärente Ordnung kommt.Aber dennoch:Das eigentliche Ziel der Schöpfungstheologie ist es nicht,die von Gott dem Kosmos eingestiftete Ordnung auch in unseren stets unzulänglichen Gedankengebilden nachzuahmen.Viel wichtiger ist es, auch auf den Wegen des Denkens zum dankbaren Staunen über Gottes Wirken in unserer Welt geführt zu werden. ■ Medard Kehl SJ

18 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Malerei Den Schöpfer in der eigenen Schöpfung kennen und ehren lernen „Die Kunst ist eine Harmonie parallel zur Natur.“ Der Künstler Cézanne ist ein selbstbewusster „Kollege“ der schöpferischen Natur.Einer Kunst,die sich selbst mit der Rolle des Darstellens und Nachbildens abfindet, gilt zu Recht das abschätzigeVerdikt eines Platon:Sie sei eine Schattenbildnerin,welche das,was sich schattenhaft in der Natur zeige, als Schatten des Schattens abbildet.Was Platon sagt,ist in der Kunst der Jahrhunderte zu beobachten. Oft gerät letztlich hinter derVerehrung des Ideals „Natur“ die Wirklichkeit selbst aus dem Blick.Kunst wird zu „Botschaft“ und Ideologie. Maler wie Lucian Freud,der Menschen malt, welche fett sind wie Gebirge und so weit weg von einem Schönheits-“Ideal“,dass sie gerade darin (an-)sprechende Persönlichkeit gewinnen,wenden sich ab von der Lüge,die Natur sei schön.Die Natur schafft,wie sie auch verletzt und vernichtet.Verlöschen und Verletzen sind in der Natur notwendigTeil desWerdens. Wer die Augen davor verschließt,verniedlicht die gewaltigen Kräfte,in die hinein Fleischwerdung geschieht,und die das Leben gestalten.Er übersieht,wie verletzend die Grenzen von Zeit/Vergänglichkeit und Raum/Begrenzung sind.Er sitzt einfach einer Lüge auf. Schönheit wird verwechselt mit der Flucht vor der Wirklichkeit. OhneWahrheit, auch die der Hässlichkeit und des Schmerzes,der Peinlichkeit und der Angst gibt es keine Schönheit,wenigstens in der greifbaren Welt des Fleisches. Die reinen Gedankenwelten – Ideen ohne Fleisch – bleiben blutleer und arm.Kunst wird zum Joint der Bürger.Dann darf die Kunst,die das Hässliche mitbringt,und der Schmerz,der nicht tragisch-groß,sondern verstörend armselig ist, ebenso wenig über die Schwelle geschützter Wohnidyllen treten,wie die soziale Not,verkörpert durch den Bettler,die aggressive Orientierungslosigkeit junger Menschen oder die verfallende Körperlichkeit von Kranken. Zur Würde der Malerei gehört die Wahrhaftigkeit. Zur Würde der Malerei gehört aber auch die Freiheit,die Schöpfung setzt,statt abzubilden:Farben überlagern sich,gewinnen Gestalt,die sich verdichtet oder vergeht. Gestalt findet sich in derVerletzung, die anderes überdeckt oder durchkreuzt.Sie findet sich in der Grenze,die zu vibrieren beginnt,wo Begegnung stattfindet.Farbe gewinnt Körperlichkeit und Tiefe. Sie wird zum Organismus,Zeichen,das nur noch auf sich selbst verweist.Der Maler ist beides,Schöpfer,der Möglichkeiten durchspielt,und staunender Zeuge einesWachstums, das sich nach eigenen Gesetzen zu entfalten beginnt.Für einen brüchigen und flüchtigen Moment wird der Schöpfer zum Ebenbild des Schöpfers!? Aber Schöpfung bleibt ein belangloses Spiel,wenn der Schöpfer sich nicht selbst an die wachsende Form bindet.Wo er mit all seiner Leidenschaft und Wahrheit eintritt in seine Schöpfung,macht er sich offenbar und verletzlich. Er bindet seine Liebe an die Grenzen einer Materie,die beides ist,berührend – greifbar und Erden-schwer.Schöpfung ohne Inkarnation ist nur das halbe Werk, wenigstens in der Kunst.Das hoffe ich auch für die Natur,die mir Schöpfung des Schöpfers ist. ■ Tobias Zimmermann SJ

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20 Jesuiten Schwerpunkt: Die Welt erforschen – Gott finden Schwerpunkt Schöne Natur nur für Reiche? Ein Engagement aus ignatianischer Perspektive Irgendwann schwammen tote Fische im Fluss, das Wasser war rot und wir Kinder konnten in dieser Lache nicht mehr schwimmen.Als ich meinenVater fragte, warum unser kleiner Fluss rot und die Fische tot waren,bekam ich zurAntwort:Dies sei nötig – eine Hähnchenschlächterei bot eine neue Quelle für Einkommen. Seither wollte ich wissen,warum wir unsere Umwelt zerstören müssen,damit es uns Menschen besser geht.Als ich in der Schule im Biologieunterricht einen Vortrag über die toten Fische,den Fluss und die Fabrik hielt,waren meine Freunde nicht begeistert.Die meisten waren Bauernkinder,die sich über den wachsendenWohlstand freuten.Sie gaben mir deutlich zu verstehen,dass nicht nur meine Familie ein Recht auf Wohlstand hätte, sondern auch ihre Familien.Irgendwann wurde die Hähnchenschlächterei in meinem niederbayerischen Heimatort geschlossen,nicht wegen meiner Proteste,sondern wegen der beiden Ölpreisschocks in den 70er Jahren.Das Züchten von Hähnchen wurde zu teuer.Die Umweltbewegung und moderne Technik haben zusätzlich zum Ölpreisschock dazu beigetragen,dass in den reichen Ländern diese lokalen Umweltprobleme gelöst wurden. Ohne dieses Erlebnis hätte ich wahrscheinlich Naturwissenschaften studiert,vor allem die Biologie hatte es mir angetan:Charles Darwin und Pierre Teilhard de Chardin habe ich verschlungen.Aber ich wollte ja die Frage beantworten,wie man die Plünderung des Planeten verhindern könne. Und so studierte ich Wirtschaftwissenschaften;ich wollte wissen,ob und wie der Konflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz zu lösen sei. Im Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) Der Schauplatz,auf dem ich diese Konflikte austrage,hat sich geändert,das Problem nicht: Heute leite ich eine der drei Arbeitsgruppen im Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC).Auch im Weltklimarat fordern die Reichen von den Armen,dass sie mehr zum Klimaschutz beitragen müssen.Manchmal scheint es mir aussichtslos,dieses Problem durch langwierigeVerhandlungen zu lösen:Zu unterschiedlich die Interessen,zu groß die Unterschiede zwischen Arm und Reich.Der steigende Ölpreis wird das Problem diesmal nicht lösen,er macht es sogar noch schlimmer.Wenn der Ölpreis steigt,werden China und Indien noch mehr von ihren enormen Kohlevorräten nutzen.Ohne eine internationale Klimapolitik übernutzen wir die Atmosphäre und riskieren – vor allem in den armen Ländern – zunehmende Dürren und Überschwemmungen,geringere Ernten und einen bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels. Das Ringen um eine vernünftige Lösung des Klimaproblems bestimmt meinen Alltag im Weltklimarat:Wie kann die Übernutzung der Atmosphäre verhindert werden? Wie viel des verbleibenden Deponieraums steht den Reichen, wie viel den Armen zu? Gibt es technische Möglichkeiten,Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum zu entkoppeln? Sollen wir verstärkt auf Kernenergie setzen

März 2011/1 Jesuiten 21 oder den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben? Die Regierungen dieser Welt haben dem Weltklimarat den Auftrag gegeben,diese Fragen zu beantworten.Vor kurzem hat mir ein hochrangiger Politiker eindringlich erklärt, wie wichtig die Berichte des Weltklimarates für die Regierungen sind.Früher hätte ich mich über die wachsende Bedeutung unserer Arbeit gefreut.Doch die wachsende Bedeutung, vor allem seit der Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 2007 an den Weltklimarat,ist eine Last geworden.Viele Entscheidungen hängen von den Berichten des Weltklimarates ab:Die Energiepolitiker wollen wissen,welchen Beitrag die erneuerbaren Energien zur Lösung der Energie- und Klimafragen leisten können. Die Versicherungen werden ihre Strategien anpassen,wenn der Weltklimarat seinen Bericht über extreme Klimafolgen vorlegt. Im Mai werde ich der Plenarsitzung des Weltklimarates den Bericht über die erneuerbaren Energien vorlegen.Alle 194 Staaten müssen den politischen Kernaussagen des Berichtes zustimmen:JedesWort,jedes Komma muss innerhalb einer Woche von allen Staaten ratifiziert werden,erst dann kann der Bericht veröffentlicht werden. DieVerantwortung lastet manchmal schwer auf mir;und doch gibt mir das Bewusstsein,an der Lösung wichtiger Menschheitsfragen mitarbeiten zu können,Kraft und Zuversicht.Ich erinnere mich oft an meine Großen Exerzitien,als mich der Exerzitienmeister in die Betrachtung vom Ruf des guten Königs einführte.Seine Frage:Wie willst Du dem guten König dienen? ImWeltklimarat versuche ich mit meinen Kollegen gangbare Wege auszuloten, wie die Menschheit das Klimaproblem gerecht und effizient handhaben kann.Ich will daran mitarbeiten,dass das bessere Argument zum Zuge kommt und die Armen am Ende nicht unsere Zeche bezahlen müssen.■ Ottmar Edenhofer

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Gott ist da Gott ist da.Eigentlich etwas,was sich für einen religiösen Menschen wie eine Binsenweisheit anhört.Aber vielleicht trotzdem zu sehr reserviert für den Gebetshocker oder die Kirchenbank.Aber wie ist es beim Aldi an der Kasse? Dreizehn Leute vor mir und wieder versucht jemand,97 Cent einzeln abzuzählen. Gott ist da. Naja gut, aber davon wird das Warten ja nicht weniger lästig. Gott ist da. Jaja,schon verstanden,aber… Moment… Jetzt? Und hier? Wo ich doch gerade so eine miese Stimmung habe und mich so ungeistlich fühle wie es nur geht? Gott ist da. In der Fußgängerzone:Bei jedem einzelnen, den ich in der Menge sehe.Bei jedem,den ich vom Anschauen her schon längst irgendwo eingeordnet habe.Gott ist da. Im Zug:30 MinutenVerspätung und die Fahrgäste,ich selbst eingeschlossen,gehen mit ihrer Ungeduld sehr unterschiedlich um. Gott ist da.Bei dem,der gerade die Schaffnerin runterputzt,bei dem,der sich gerade am Laptop einen Film anguckt. Was bringt das? Dieses sich ständige Erinnern an Gottes Gegenwart? Macht es den Alltag erträglicher? Nicht unbedingt.Macht es mich zu einem besseren Menschen? Da müsste wohl schon mehr passieren.Wozu also? Eine neue Perspektive Wir brauchen Perspektive,weil uns ansonsten dieWelt zu eng wird.Wenn das einzige, woran wir unser Leben,unsere Mitmenschen,unseren Alltag messen,das ist,was wir sehen,dann wird es uns wirklich eng.Dann ist vielleicht auch manchmal die Vorstellung unerträglich, sich mit dem andern,der uns so auf die Nerven geht, die gleiche Welt teilen zu müssen. Dann scheint auch unser Leben,unsere Geduld,unsere Liebe so wenig und so begrenzt.Die Erinnerung daran,dass Gott da ist und dann auch irgendwann der Glaube, dass er nicht nur da ist,sondern für uns,für mich da ist,kann dem Leben eine weitere Perspektive verleihen.Nicht,dass dadurch alles relativiert wird,so nach dem Motto „Naja,vor Gott sind das ja alles kleine Fische“,sondern im Gegenteil,dass man dadurch Mut gewinnt, sich der Enge und Begrenztheit auszusetzen und darum die Dinge an sich heranlassen kann.Nicht,weil man damit eine bequeme Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag hat, sondern damit man sich auch im Alltag daran erinnert,dass man nicht allein ist. Gott ist froh,dass es uns gibt Gott ist da.Eine merkwürdige Zusage.Gerade dann,wenn man einübt,sich diesen kleinen Satz immer wieder in den gewöhnlichsten Momenten ins Gedächtnis zu rufen.Man hat ja eigentlich gar nichts davon.Es geschehen keine Wunder, die die kleinen Missge-

März 2011/1 Jesuiten 23 schicke des Alltags plötzlich in Erfolgserlebnisse verwandeln.Aber die Welt weitet sich. Vielleicht bleibt auch einfach nur ein Staunen zurück.Du bist hier? Hier in dieser gewöhnlichen Stadt,bei diesen gewöhnlichen Menschen, bei mir? Vielleicht erreicht uns dann ja auch die Zusage,wie froh Gott darüber ist, dass es uns gibt.Vielleicht hilft dieser kleine Satz ja dabei,dass ich entdecke,wie besonders ich für Gott bin.Vielleicht sehe ich ja plötzlich,dass diese ganze Masse von Menschen, die mir beim Samstagseinkauf immer im Weg stehen und die bisher nur die Statisten in meinem persönlichen Lebensfilm waren,selber Hauptrollen haben.Dass sie genauso im Zentrum ihrer Welt stehen wie ich.Vielleicht erahne ich langsam,wie sehr wir alle zusammengehören. Gott ist da – das ist ein echtes Hosentaschengebet, das Vaterunser für unterwegs, das Glaubensbekenntnis für den Hausgebrauch,der Gebetshocker für die U-Bahn,und man kommt nie ans Ende mit diesem Gebet. Immer neu kann man entdecken,was Gottes Gegenwart bedeutet, für mich, mein Verhältnis zu mir selbst und zu den Menschen um mich herum. ■ Ansgar Wiedenhaus SJ

24 Jesuiten Nachrichten Nachrichten Neues aus dem Jesuitenorden Provinzial Stefan Kiechle SJ: Brief an die Opfer Am 25.Januar – ein Jahr,nachdem im CanisiusKolleg in Berlin die ersten Missbrauchsfälle in Einrichtungen des Jesuitenordens in Deutschland bekannt geworden sind – hat sich Pater Provinzial Stefan Kiechle SJ in einem Brief an die bis jetzt rund 200 Opfer gewendet und noch einmal seinen Schmerz und die Scham über die Verbrechen zum Ausdruck gebracht und die Betroffenen um Verzeihung gebeten. Zugleich zieht er eine Bilanz der seitdem geleisteten Aufklärungsarbeit,die sich in umfassenden Untersuchungsberichten,auch zu den einzelnen Kollegien in Bad Godesberg,Berlin und St.Blasien,niedergeschlagen hat.Alle Untersuchungsergebnisse sind übrigens im Internet unter <www.jesuiten.org> dokumentiert. Mit Blick auf die Zukunft betont Stefan Kiechle,welch hohen Stellenwert die zumTeil neu entwickelten Präventionskonzepte an den Kollegien haben. Ein wichtiges Signal ist für den Orden nicht zuletzt die in Aussicht genommene Anerkennungszahlung an Opfer in Höhe von 5.000,– Euro,mit der die Jesuiten ein Zeichen setzen wollen.Die Umsetzung dieses Angebots wird mit anderen Ordensgemeinschaften und der Deutschen Bischofskonferenz abgestimmt. Benedikt Lautenbacher wird Rektor im Germanicum Pater Benedikt Lautenbacher SJ,Hochschulgeistlicher,Priesterseelsorger und Superior der Jesuitenkommunität in Göttingen,ist vom Generaloberen des Ordens,Adolfo Nicolás SJ, zum neuen Rektor des „Germanicum“ in Rom ernannt worden.Er wird im August 2011 die Nachfolge von Franz Meures SJ antreten, der seit Januar 2005 als Rektor tätig war. Die Leitung dieses 1552 in Rom gegründeten Kollegs lag von Anfang an in den Händen der Gesellschaft Jesu.Heute ist das „Pontificium Collegium Germanicum et Hungaricum“ – so der offizielle Name seit 1580 – eine kirchliche Ausbildungs- und Begegnungsstätte für knapp 80Theologiestudenten und Priester aus insgesamt 43 Diözesen in Mittel- und Osteuropa. Benedikt Lautenbacher wurde 1955 in Benediktbeuern geboren und wuchs im oberbayerischen Kochel am See auf.Nach dem frühen Tod desVaters führte er viele Jahre – inVertretung des jüngeren Bruders – den traditionsreichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb (Bio-Hof).1987 Abitur.1988 trat er,angeregt durch eine Begegnung mit dem Zen-Lehrer und Jesuiten Hugo Enomiya-Lassalle der Gesellschaft Jesu bei und wurde 1996 in München von Kardinal Friedrich Wetter zum Priester geweiht.Nach Studien in München (Philosophie) und Innsbruck (Theologie) war Benedikt Lautenbacher überwiegend in der Seelsorge tätig: Von 1996 bis 1999 in St. Kunigund in Nürnberg, von 2000 bis 2005 als Kirchenrektor in St.Alfons in Aachen,wo er die Jesuitenkirche zu einem Aktionsraum für Re- Benedikt Lautenbacher SJ

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