Jesuiten 2011-2

Schwerpunkt Liebe – nur ein Gefühl? „Dilige et quod vis fac“: Liebe, dann tu was du willst. So schreibt Augustin von Hippo in seinem WerkIn epistulam Ioannis ad Parthos (VII, 8). Aber, was ist sie, die Liebe? Ist sie Gefühl, ist sie Trieb, und ist sie – oder dasVerliebtsein – nicht mehr als eine chemische Reaktion? Die junge Frau, die am anderen Ende der Welt lebt und sich nach der Nähe ihres Geliebten sehnt, der unendlich weit von ihr entfernt seinen Lebensmittelpunkt hat. Liebe? Der Mann, der unablässig die Nähe der Frau sucht,die sich von ihm trennte. Liebe? Der Mensch, der die Zahl seiner sexuellen Kontakte im Monat addiert. Liebe? All das mag von Einzelnen als Liebe aufgefasst werden. Scheinbar gibt es eine unendliche Fülle von Möglichkeiten, Liebe wahrzunehmen. Diese Fülle spricht nicht gerade dafür, den Begriff von Liebe zu vereinheitlichen, und macht es schwer, ihn zu reduzieren auf eine romantische Emotion, einen Trieb oder etwas Ähnliches. Aus sozialpsychologischer Rücksicht könnten wir versuchen, uns dem Phänomen der Liebe aus drei Perspektiven zu nähern:Von der Intimität,der Leidenschaft und der Bindungsfähigkeit aus. Intimität stellt eine Verbindung zu Vertrauen,Respekt und Selbstöffnung dar.Leidenschaft verknüpft das Thema der Liebe mit euphorischen Gefühlen oder auch mit Sexualität. Bindung thematisiert, wie viel Zeit und Energie man in die Partnerschaft investiert und dass die eigenen Belange zurückgestellt werden können. In der klassischen Psychoanalyse wird Liebe als restlos eigennützig aufgefasst.Hier hält das Objekt lediglich dazu her, dem Subjekt Befriedigung zu verschaffen. Melanie Klein, eine Begründerin der Kinderanalyse, die die klassische Psychoanalyse Freuds weiterentwickelte, vertrat die Auffassung, dass schon dem Neugeborenen von Anbeginn ein hohes Maß an Liebesfähigkeit zur Verfügung stehe. Bei der Beobachtung eines Neugeborenen in seiner normalen häuslichen Umgebung mit den ersten Bezugspersonen gelangte ich zu der Erkenntnis, dass die Befriedigung des kleinen Kindes sowohl mit der Mutter als dem Objekt, welches die Nahrung vermittelte, in Verbindung gebracht wurde, wie auch mit der Nahrung selbst. So hat das kleine Mädchen sowohl die nährende Milch als lebensspendend empfunden als auch die Mutter. Schon in dieser Phase kann das heranwachsende Kind die so wichtige Fähigkeit entwickeln, die Mutter auch dann als lebensspendend und gut zu erleben, wenn sie einmal abwesend und die Bedürfnisse nicht unmittelbar zu befriedigen in der Lage ist. Ein wesentlicher Aspekt von Liebe könnte also darin bestehen, dass sie dem „nicht-idealen Objekt“ gilt; einem „guten Objekt“, welches auch dann angenommen werden kann, wenn wir in ihm Fehler und Mängel erkennen, und trotzdem die Liebe nicht unvermittelt in Hass umschlägt. Emotionale Stabilität, Anteilnahme, Versöhnlichkeit und Dankbarkeit sind Charaktereigenschaften, die sich unverbrüchlich mit dem verbinden lassen,worin „Liebe“ sich beschreiben und erfahren lässt. Meint Augustin dies, wenn er von „Liebe“ spricht? Kann sie Ermöglichungsgrund eines begegnungsfähigen Handelns sein? Liebe scheint also weit mehr als nur ein Gefühl, eine Emotion, eine Bedingungsmöglichkeit zur Fortpflanzung oder lediglich ein Feuern von Synapsen, welches Regungen erzeugt. Marco Mohr SJ 4 Jesuiten Schwerpunkt: Liebe

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