Jesuiten 2011-3

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Das Wort Gottes ist kein Text Das Wort Gottes ist kein Text. Das wäre schlimm. Stellen Sie sich vor, die ganze Liebe, die Sie für jemanden empfinden, müsste ein für allemal in Wörter gefasst werden. Könnten Sie am Schluss sagen: Und damit ist alles gesagt? Oder bliebe nicht vielmehr das Gefühl zurück, dass alle Worte zu wenig sind, um an den Kern zu gelangen? Gott hat uns ja kein Buch hinterlassen und gesagt: „So, da ist jetzt alles drin.“ Katechismen zum Beispiel haben die Tendenz, engstirnig zu machen. Plötzlich hat man das geschriebene Wort, auf das man sich immer berufen kann, das aber nicht ansatzweise in der Lage ist, Lust auf Fülle und Vielfalt zu machen. Da steht dann wie in Stein gemeißelt: Das und das ist eine Glaubenswahrheit. Richtig katholisch ist das nicht. Dafür fehlt die Weite, das Bunte, das Lebendige. Da wird dann definiert, wer wen wie lieben darf und wie man es auf gar keinen Fall darf. Plötzlich schmeckt Gottes Liebe nach altem Papier. Das soll göttlich sein? Kein Buch ersetzt Herz und Verstand. Jeder weiß das, aber keiner scheint es zu glauben, wenn es um Gottes Liebe und Wahrheit geht. Das Wort Gottes ist ein Mensch. Oder noch mehr: DasWort Gottes ist der Mensch. Sicher, in Jesus Christus ganz einzigartig usw. usw. Aber damit ist ja nicht Schluss. Gottes Wort kam ja nicht nur einmal in die Welt und alles, was wir jetzt davon haben, ist nacherzählt, abgeschrieben und übersetzt. Dann müssten wir ja geistlich von Konserven leben, benachteiligte Spätgeborene. Hier beginnt das Faszinierende am Christentum. Gottes Wort wird Mensch – immer wieder. Und noch besser: Es geht gar nicht um das richtige Wort, sondern um den Menschen selbst. Stellen Sie sich einfach selber die Frage: Welche Menschen haben mich inspiriert? Waren das die Bescheid-Wisser, die auf alles eine Antwort haben, unberührt von Zweifel und Angst? Oder waren das nicht vielmehr diejenigen, die auch dann noch dableiben, wenn sie selbst keine Antwort mehr parat haben? Das sind diejenigen, die nicht versuchen, jeden heldenhaft am Arm aus seiner Not zu zerren, sondern die sich trauen, den anderen in eben dieser Not aufzusuchen und die die Dunkelheit der Hilflosigkeit aushalten. Das ist das eigentliche Wort Gottes, ins Leben hinein dekliniert. Genauso wie diejenigen Wort Gottes sind, die unsere Erfolge mit uns feiern, die uns aus aller falschen Bescheidenheit herausreißen und uns groß sein lassen können, ohne Neid. Uns mag das oft wenig erscheinen, was wir zu geben haben, unser Mühen, unsere Versuche, über die Runden zu kommen und dabei nicht ganz zu vergessen, wer wir sind, und irgendwo dazwischen noch Platz zu lassen für Glaube, Hoffnung und Liebe. „Ich bin ja nicht so der tolle Christ“, sagen dann einige. Dabei leiden sie nur daran, dass sie nicht auf alles eine Antwort haben, dass sie nicht alle Not heilen kön-

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