Jesuiten 2012-1

22 Jesuiten Geistlicher Impuls Geistlicher Impuls Das Leben als Pilgerweg Das Verblüffende an Pilgerfahrten ist, dass sie selbst heutzutage nicht wirklich anachronistisch auf uns wirken. Dies liegt zum einen natürlich daran, dass solche Reisen immer noch von vielen Menschen unternommen werden, sei es, dass sie nach Mekka oder Benares fahren oder auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela wandern. Zum anderen sind Pilgerfahrten aber auch deswegen immer noch populär, weil uns die Idee, die einer Wallfahrt zugrunde liegt, selbst heute noch anspricht: der Gedanke, dass wir durch eine Reise ein bestimmtes religiöses, ethisches oder emotionales Ziel erreichen können. Am 2. Juni letzten Jahres brach eine vierköpfige Gemeinschaft von zwei Männern und zwei Frauen vom Bad Schönbrunner Lassalle-Haus nach Jerusalem auf. Ihre Route führte sie über die Alpen und den Balkan nach Istanbul und von dort aus durch Syrien nach Israel.Warum nimmt man die Strapazen auf sich, 206 Tage lang zu Fuß unterwegs zu sein und dabei in Tagesetappen von durchschnittlich 25 Kilometern gut 4300 Kilometer weit zu laufen? Erzählt uns nicht die Bibel, dass Jahwe sein auserwähltes Volk der ägyptischen Gefangenschaft entrissen und danach vierzig Jahre lang durch die Wüste in die Freiheit des gelobten Landes geführt hat? Dass Jahwe dasVolk Israel also nicht aufbrechen lässt, um ihn zu suchen, sondern dass Jahwe mit demVolk selbst zieht? Denn die Bundeslade war ja gerade keinTempel, sondern konnte von den Israeliten stets mitgetragen werden, wohin sie auch gingen. Franz Mali, einer der vier Pilger, antwortet auf diese Frage: „Sicher ist Gott auch an jedem Ort zu finden, aber dort, wo Gott konkret mit Jesus Mensch geworden ist, diese Koordinaten sind nicht verschiebbar, das ist etwas Einmaliges, etwas Besonderes. Es zeigt: nicht der Mensch kann Orte heiligen, einzig Gott macht Orte heilig.“ Für Ignatius war nicht nur Jerusalem eine Pilgerstätte, sondern er fasste sein ganzes Leben als Pilgerweg auf, wie man in seinem Tagebuch nachlesen kann. Er sah sich als jemanden, der immer wieder aufbricht, der von der Erfahrung des „Suchens und Findens von Gott in allen Dingen“ und Menschen geprägt ist. Pilgern ist immer auch ein Beziehungsgeschehen. In seinem Exerzitienbuch beschreibt Ignatius das kurz so: „Der Mensch ist geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben.“ In anderen Worten:Wir sind als Gottes Ebenbild auf Gott hin geschaffen, und um „loben“ – man könnte auch sagen dankbar sein – zu können, sind wir eingeladen, die Welt aus göttlicher Perspektive anzuschauen.Vielleicht lässt sich „pilgern“ als Versuch interpretieren, dieWelt „mit göttlichen Augen“ zu sehen.Auf diese Weise können wir mithelfen, die Welt zu einem geheiligten Ort werden zu lassen. Jesu Wort „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) ist nicht ein frommer Spruch, sondern hat sich konkret in Jesu Leben und Handeln gezeigt. Jesus hat kranke Menschen geheilt, Blinde sehend gemacht, Trauernde getröstet, und er hat sich besonders für die Ausgegrenzten und Ausgestoßenen seiner Gesellschaft eingesetzt. Und das ist zeitlos, das können auch wir. Der hl. Paulus wird später

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