Jesuiten 2012-1

März 2012/1 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, eine Fernsehserie hat uns gerade das Lieblingsbeispiel der Historiker für „Verweltlichung“ der Kirche in opulenten Farben vor Augen geführt – die Herrschaft der Medici- und Borgia-Päpste. Wir bekommen eine Kirche zu sehen, die gefangen ist in triebhafter Genusssucht, intriganter Machtbesessenheit und Prachtentfaltung. Auch die Geschichte der Ordensgemeinschaften erzählt nicht selten von kompromisslosen Anfängen, von der Blüte, die sich in kulturellen Hochleistungen zeigt, bis hin zum moralischen und materiellen Bankrott. Wo ist da noch der Geist des besitz- und heimatlosen Wanderers aus Galiläa, der bei denen am Rande war, bei den Macht- und Sprachlosen, den ausgestoßenen Kranken? Die Freiburger Rede des Papstes hat eindringlich die Frage gestellt, ob wir Christen in Deutschland nicht auch zu sehr gefangen sind in einem üppigen Versorgungschristentum, das karitative Aufgaben delegieren kann, um fortwährend um sich und die eigenen Interessen zu kreisen. Aber es geht hier nicht um ein Spiel mit klar verteilten Karten. Was bedeutet es sonst, dass wir das Zeitalter der Renaissance kirchenhistorisch immer noch als das Zeitalter des Sündenfalls behandeln, zugleich aber das religiöskulturelle Erbe jener Zeit hochhalten: Raffael, Michelangelo, Palestrina, St. Peter in Rom? Sie wären nie erblüht, hätten sich die Savonarolas jener Zeit durchgesetzt mit ihrem Programm der Entweltlichung und ihren Scheiterhaufen, auf denen aller irdische Tand verbrannt werden sollte. Dass der Papst beim Stichwort „Entweltlichung“ sicher nicht nur nach Deutschland deutet, wird klar, wenn man bedenkt, dass der römische Zentralismus der letzten Jahrzehnte auch durch Gelder der deutschen Steuerkirche am Laufen gehalten wird. Wo der befreiende Geist Jesu jeweils ansetzen will und muss, das zu erkennen bedarf der Unterscheidung der Geister. Die „Welt“ ist heiliger Ort – das meint Ignatius, wenn er fordert, Gott „in allem“ zu finden.Auch „Entweltlichung“ kennt ihren Sündenfall, eine Haltung der abschätzigen Abwertung von Welt und Menschen, um die man sich nicht kümmern muss, weil sie nicht in die eigenen Kategorien passen. Nicht nur die Renaissance-Kirche, auch die reaktionäre Kirche der Bürger und Monarchisten des 19. Jahrhunderts hat in der Kirchengeschichte tiefe Spuren der Entfremdung vom Geist Gottes hinterlassen. Selbstkritisch und prophetisch nachdenken über die Welt als Ort der Inkarnation einerseits und den „alten Adam“ mit seiner Schwerkraft aus triebhafter Machtgier und Egoismus andererseits – diese Aufgabe, stellt uns der Papst. Sie bedarf der ernsthaften, kritischen Selbstprüfung von Kirchenleitungen und Christen der sogenannten Basis in Deutschland und in Rom.Wir verstehen dieses Schwerpunktthema als einen Beitrag zu jenem Dialogprozess, der in Mannheim begonnen hat.Wir würden uns freuen, Sie liebe Leserinnen und Leser, ein Stück mit hinein zu nehmen in die Vielschichtigkeit der Fragen, die sich nur im geduldigen Zuhören und im Dialog ausleuchten lassen. Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne ein frohes Osterfest. Johann Spermann SJ Martin Stark SJ Tobias Zimmermann SJ

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