Jesuiten 2012-1

2 Jesuiten Schwerpunkt: Entweltlichung – Verweltlichung Schwerpunkt Die Welt nicht freiwillig räumen! Alfred Delps Anstöße für eine Theologie des politischen Engagements Das Schicksal der Kirchen, so gibt sich der Jesuit Alfred Delp kurz vor seiner Ermordung im Jahre 1945 überzeugt, wird abhängen von ihrer bedingungslosen Rückkehr in die Diakonie. Damit meint er „das Sich-Gesellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie ihm meistern zu helfen (…). Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußerstenVerlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein genau und gerade dann, wenn ihnVerlorenheit und Verstiegenheit umgeben. ‚Geht hinaus’hat der Meister gesagt,und nicht:‚Setzt euch hin und wartet, ob einer kommt’. Damit meine ich die Sorge auch um den menschentümlichen Raum und die menschliche Ordnung. Es hat keinen Sinn, mit einer Pfarrerund Prälatenbesoldung zufrieden die Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen.“ Tatsächlich, die erste und letzte Aufgabe von Christen und Kirche in der Welt ist das Wachhalten der Gottesfrage. Diese Gottesfrage ist aber folgenreich. Denn es geht um den Gott Jesu Christi; um den Gott des Beistandes aller Bedrückten und Bedrängten; um den Gott, den das Elend seines Volkes und das Seufzen der Kreatur so erbarmte, dass er letztlich in seinem Sohn Jesus Christus Fleisch angenommen hat, um unter uns Menschen zu leben, unser Schicksal zu teilen, um die Welt von innen heraus heilsam zu verändern. All das, was uns Menschen in der Frohen Botschaft dieses Gottes zugesprochen ist, nämlich Trost, Heil, Erlösung, all das wird nicht abseits der bedrängenden Situationen des Lebensalltags ersehnt und erhofft. Sondern Trost, Heil und Erlösung werden gerade inmitten jener konflikthaften Lebenslagen und sozialen Lebensnöte ersehnt und erhofft, die Menschen immer neu zu bestehen und zu bewältigen haben. Deshalb das „Nachgehen und Nachwandern“, deshalb das Hinausgehen und Nichtsitzenbleiben, deshalb der persönliche Beistand wie die lebensdienliche Gestaltung der Gesellschaft – und zwar durch prophetisches Sprechen ebenso wie durch das stumme Zeugnis der helfenden Tat: in jedem Fall also wortreich wie tatkräftig. Doch schon Delp wusste: Solch wortreiches wie tatkräftiges Wachhalten der Gottesfrage ist in der Regel ungemütlich, ja als Nachfolge des Gekreuzigten kann es selbst in lebensbedrohliche Nähe zu den lebensfeindlichen Mächten und Gewalten unserer konkretenWelt geraten. Deshalb die große Gefahr, dass sich Christen immer neu ihrer Gestaltungsverantwortung für die Welt entziehen – sei es durch ihre Scheu, sich demWind undWetter der Geschichte auszusetzen, sei es durch eine mindestens latente Weltverachtung: „Geschichte wird nicht mehr zum Ort des Reiches [Gottes], sie ist beinahe von Übel. (…) Man wird irgendwie denkmüde und wegmüde, will getragen sein von Gott bis in die letzte Wirklichkeit des Denkens und Entscheidens. (…) Daß Kirche Welt ist und ihr Gesetz einstweilen das Gesetz der Wanderung und der Geschichte ist, und daß das Staub und Anstrengung bedeutet, das wird nicht sehr betont. Das bedeutet aber in einer anderen Form die Auswanderung aus der Zeit. Die Erde wird gleichsam freiwillig geräumt.“ Solche freiwillige Räumungen der Erde verlaufen nicht spektakulär und aufregend; sie verlaufen eher schleichend, in satter Selbstzufriedenheit, ja im Gewand bürgerlicher Wohlanständigkeit und innerkirchlicher Wohlaufgeräumtheit. Längst sind selbst äußerlich noch christentümliche Gegenden unserer Alltags-

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