Jesuiten 2012-2

Juni 2012/2 Jesuiten 17 Schwerpunkt Von Helden und Langweilern Der Held meines Noviziates war Bobadilla (1511-1590) – ein Querkopf unter den frühen Gefährten des Hl. Ignatius, der den Gehorsam recht weit fasste und von der beglückenden Kraft seiner Originalität so überzeugt war, dass er gerne gegen den Strom schwamm. Kein Zweifel, die anderen Gefährten sahen neben ihm etwas angepasst und langweilig aus. Allerdings war die Sympathie für Bobadilla nicht teuer bezahlt. Sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung der Jesuiten ist der Weg gegen den Strom die Hauptstraße, auf der einem wenige entgegenkommen. Das vorherrschende Bild des Jesuiten der letzten fünfzig Jahre ist sicherlich nicht mehr der kadavergehorsame Soldat in der gleichförmigenTruppe des Papstes, sondern eher der vielfach begabte Solitär, der mit seinem individuellen Charisma auf der tapfer verteidigten Scholle seines Werkes Menschen an sich zieht und prägt. In der Bildung schlägt sich dies in demVorbild des „Paters“ nieder, der „den jungen Leuten etwas zu sagen hat“, sie um sich schart und in unkonventioneller Weise führt. Dieses Bild ist natürlich ein Klischee. Es ist niemals in Reinform da, und es ist auch nicht ungebrochen. Gebrochen ist es durch die Missbrauchsfälle. Allerdings stehen wir Jesuiten erst am Beginn einer Reflexion darüber. So wenig man sie alle über einen Kamm scheren kann, so deutlich ist der Zusammenhang von ausgeprägtem individuellen Charisma und missbrauchter Macht zumindest in einigen Fällen erkennbar. Dies macht es so schwierig – unter den Jesuiten – und möglicherweise noch viel mehr in der Wahrnehmung derer, die missbraucht wurden. Es waren eben oft keine deformierten und verklemmten Sonderlinge, sondern begabte und für viele faszinierende Gestalten, die tatsächlich Menschen geprägt haben. Für viele waren es Helden, keine Langweiler. Nun führt keine direkte Straße von Bobadilla zur Jugendarbeit des 20. Jahrhunderts und von der charismatischen Individualität zum Missbrauch. Aber trotzdem sind die Fragen an das Selbstbild der Jesuiten sowie an ihrVerständnis von Bildung noch nicht anfänglich ausgelotet. Zugegeben, die Fragen sind immer in der Gefahr, die Erfahrung des Missbrauchs, die eine Erfahrung der Opfer und nicht der Jesuiten ist, zu vereinnahmen und in einer narzisstischen Selbstreflektion zu funktionalisieren. Und dennoch ist diese Reflexion wichtig, gerade weil die abnehmende Zahl der Jesuiten in den Bildungseinrichtungen umso mehr Erwartungen an die prägende Kraft des Einzelnen mit sich bringt.Wie also ist es möglich, mit der ganzen Persönlichkeit und individuellen Begabung Bildung zu vermitteln, ohne Menschen auf ungute Weise zu binden? Wie kann weiterhin eine Nähe von erziehender Person und Jugendlichen gelebt werden, die die Bildungssituation davor bewahrt, nun in der Gegenreaktion zum Missbrauch zu einem funktional bestimmten und bis ins letzte hinein reglementierten Rollenverhalten zu verkommen?Wie ist es möglich, das Charisma des einzelnen Jesuiten oder Mitarbeiters zu respektieren, ohne Intransparenz und abgeschottete Zirkel um eine Erziehungsperson zuzulassen? Und schließlich:Wie ist es um das Lob von Dissidenz, Originalität und Unkonventionalität bestellt? Braucht es heute vielleicht doch weniger Helden und einige Langweiler mehr? Tobias Specker SJ

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