Jesuiten 2012-2

18 Jesuiten Schwerpunkt: Bildung Schwerpunkt Die Klugheit des Bildungsfriedens Deutschland will den Bildungsfrieden. Die Gesellschaft selbst soll über ihre Bildung entscheiden. So könnte man die politische Bilanz nach zehn Jahren Aufklärung über die neue deutsche Bildungskatastrophe zusammenfassen. Die klugen Bildungspolitiker in fast allen Parteien haben erkannt, dass man mit einer Reform des Bildungswesens, die sich über die Sorgen und Ängste in den Mittelklassen der deutschen Gesellschaft hinwegsetzt, nichts erreicht. Ausschlag gebend dafür war die Hamburger Entscheidung vom Sommer 2010, als durch einen Volksentscheid das mit der größtmöglichen parlamentarischen Mehrheit unterstützte Projekt einer für alle Kinder verpflichtenden Primarschulbildung bis zum 6. Schuljahr gekippt wurde. Das war ein Schlag ins Kontor der seinerzeitigen schwarzgrünen Koalition, die die sozialmoralisch sensible „Mehrheitsklasse“ auf ihrer Seite wähnte. Die Vernunft des Vorschlags einer verpflichtenden Verlängerung der Beschulung aller Kinder lag doch auf der Hand. Denn je länger die Kinder gemeinsam lernen, umso größer ist die Chance, dass sie voneinander lernen: Die aus bildungsreichen genauso wie die aus bildungsarmen Elternhäusern, weil sie gemeinsam mit einer Sache beschäftigt sind.Außerdem können die Lehrerinnen und Lehrer sich mehr Zeit lassen, um Talente zu fördern und Schwächen auszugleichen. Irgendwie muss doch derTeufelskreis zu durchbrechen sein, der die einen in der Schule erfahren lässt, dass sie wie von selbst immer besser und die anderen, dass sie von vorneherein immer schlechter abschneiden. Wenn so eine wohlmeinende und gut begründete Initiative schief geht, dann müssen interessierte Gruppen am Werke gewesen sein. Heute kann man nüchtern feststellen, dass die sprichwörtlichen Chefärzte, Steueranwälte und Unternehmensberater aus den besseren Bezirken für den Bürgerentscheid nicht gereicht hätten. Die haben zweifellos zur Herstellung von Öffentlichkeit beigetragen, aber die vielen stillen Teilhaber und Teilhaberinnen, die dem Bürgerbegehren zu kritischer Größe verholfen haben, sind durchaus nicht diesem Oberklassensegment zuzuordnen. Man kann sie eher zur „neuen Mitte“ derer zusammenfassen, die von der Bildungsexpansion der 1970er und 1980er Jahre profitiert haben. Die Allermeisten von ihnen sind, was Bildung, Beruf und Einkommen betrifft, relativ privilegiert, aber sie hegen stille Zweifel, ob ihre Kinder es genauso weit bringen werden. Dafür machen sie weniger die mangelnde Motivation der Nachkommen verantwortlich als die Ungewissheit über die große gesellschaftliche Entwicklung und die Unsicherheit über das, was in zwanzig oder dreißig Jahren noch gilt und wichtig ist. Man erwartet nicht, dass die Kinder besser dran sein werden. Man wäre schon zufrieden, wenn der erreichte Status der Familie in der Generationenfolge gehalten werden könnte. Diese letztlich defensive Gestimmtheit ist dafür verantwortlich, dass sie von der Vorstellung, ihre Kinder könnten mit Kindern aus Familien, denen Bildung nichts wert ist und die die grundlegenden Voraussetzungen für ein diszipliniertes Verhalten in der Schule nicht selbstverständlich mitbringen, wild zusammengewürfelt werden, in Panik versetzt werden.Viele dieser zwischen Mitte der fünf-

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