Jesuiten 2012-2

Juni 2012/2 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, haben Sie sich heute schon gebildet? Noch nicht? Dann wird es aber Zeit! Zeit, die Sie nicht verlieren sollten. „Bildung“, das klingt verheißungsvoll. DasVersprechen und die Aufgabe der Bildung ist das unangefochtene Mantra vieler gegenwärtiger Diskussionen – sei es um denWert der Familie, um die Aufgabe der Integration oder um den Sinn des Altwerdens. Doch die Bildungseuphorie hat auch ihre Schattenseiten: Jedes Lebensalter, jede frei verfügbare Zeit wird ihr untergeordnet und droht funktionalisiert zu werden. Und:Wer hat teil an dieser Bildung, wer bleibt außen vor? Zwischen funktionaler Ausbildung und umfassender Bildung der Persönlichkeit, zwischen dem Ideal der Universalbildung und der Realität modularisierter Weiterbildungszwänge ist das Bildungsthema vielleicht auch deswegen so populär, weil „Bildung“ verspricht, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe und mich immer neu selbst gestalten kann.Der Philosoph Peter Sloterdijk bringt es auf den prägnanten Titel: „Du musst Dein Leben ändern!“ Nun kann man diese Formel durchaus mit einem christlichen Zungenschlag aussprechen: Du bist nicht ein für allemal festgelegt, du kannst umkehren und dein Leben gestalten, du bist wertvoll und verantwortlich zugleich – all dies sind Grundlagen der „Bildung“ und zugleich durchaus Bausteine dessen, was man gerne „christliches Menschenbild“ nennt. So verwundert es nicht, dass der Jesuitenorden von den Anfängen an Bildung als Ideal und Aufgabe ansah, von den inneren Prozessen der Exerzitien bis zu den großen Institutionen der Schulen und Universitäten. Dennoch besteht gerade in Deutschland kein Grund dazu, die Verbindung von Bildung und Jesuitenorden nur als eine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Die Erfahrung der sexuellen Gewalt und der missbrauchten Macht, die Schüler und Schülerinnen in Schulen und Jugendverbänden der Jesuiten gemacht haben, stellt die Frage nach den Schattenseiten jesuitischen Engagements in der Bildung.Die Redakteure haben sich bewusst entschieden, dieses Heft nicht zu einer Auflistung von Präventionsmaßnahmen und dessen, „was wir gelernt haben“, zu machen. Ersteres wäre geschmacklos, zweites zu früh. In zwei Artikeln soll das Thema des Missbrauchs explizit angesprochen werden. Abgeschlossen ist es keineswegs und die Frage, was es für den Orden bedeutet, ist noch nicht einmal anfänglich ausgelotet. Insgesamt gibt es also Grund genug zu fragen, welche Aspekte das jesuitische Verständnis von Bildung aufweist. Drei Themen stehen dabei im Vordergrund: Das erste fragt nach der Verbindung von Spiritualität und Bildung und bietet so die Grundlagen. Das zweite versucht, „Bildung“ und „Gerechtigkeit“ zusammenzubringen – eineVerbindung, die der Orden nach dem II. Vatikanischen Konzil in besonderer Weise entdeckt hat und zu fördern versuchte. Der dritte Aspekt widmet sich explizit aktuellen Spannungsfeldern. Also: Haben Sie sich heute schon gebildet? Wir wünschen Ihnen, dass Sie dies mit diesem Heft tun – und dabei auch einige Freude finden können. Holger Adler SJ Tobias Specker SJ Tobias Zimmermann SJ

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