Jesuiten 2012-2

2 Jesuiten Schwerpunkt: Bildung Schwerpunkt Was ist Bildung? Ein Mensch kann einen anderen nicht bilden. Er kann ihn nur ausbilden. Bilden kann man sich nur selbst. „Sich zu bilden, ist tatsächlich etwas ganz anderes, als ausgebildet zu werden. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können.Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein“, schreibt der Philosoph Peter Bieri. Es geht bei der Bildung also um mehr als informiert zu sein. Ein anderer Philosoph, Alfred N. Whitehead, konstatiert: „Ein bloß gut informierter Mensch ist der nutzloseste Langweiler auf Gottes Erde.“ Er meint, dass die in Bildungseinrichtungen vermittelten Ideen nicht bloß passiv sein dürfen. Sie müssen „in Beziehung stehen zu dem Strom aus Sinneswahrnehmungen, Gefühlen, Hoffnungen,Wünschen und geistigen Aktivitäten, der unser Leben ausmacht.“ Gelingt es der jesuitischen Pädagogik, nicht nur passive Ideen einzutrichtern, sondern Menschen hervorzubringen, die sich aktiv selbst bilden? Mitunter schon, bedenkt man, dass zum Beispiel Descartes,Voltaire und Molière Jesuitenschüler waren. Am Beispiel von Descartes kann man gut ablesen, was einen gebildeten Menschen ausmacht. Die Einführung in die klassischen Sprachen und die Mathematik, die er bei Jesuiten erfuhr, machte ihn zum Gegenteil eines Fachidioten. Sie machte ihn zu einem Menschen, der klar denken und sich klar artikulieren konnte. Obwohl er zunächst Jura studierte, bereicherte er später auch die Mathematik und die Naturwissenschaften um bedeutende Entdeckungen, wurde schließlich der Vordenker der Moderne. Er verkörpert Bildung. Der gebildete Mensch kennt die Geschichte und dieTradition.Nicht detailverliebt und rückwärtsgewandt, sondern um sie als festen Boden zu benutzen, von dem er sich in der Gegenwart zu neuen Ufern abstoßen kann. Er schafft kreativ Neues, nicht verengt in einem kleinen Bereich, sondern verwoben mit dem Ganzen seiner Zeit und Kultur. Wie wird man ein solcher Mensch? Zunächst braucht man ein Umfeld,in dem aktives Lernen und schöpferisches,auch kritisches Nachdenken geschätzt und gepflegt wird.Die geistige Liberalität, die Descartes in den Niederlanden fand, ist nur ein konkretes historisches Beispiel dafür. In einem Milieu der Enge, der Kontrolle und der passiven Ideen kann Bildung als Selbst-Bildung kaum entstehen. Externe Kontrolle und Passivität sind die größten Feinde intrinsischer Motivation. Mit dem Philosophen Kierkegaard könnte man sagen, dass das Sich-Bilden damit zusammenhängt,„sein wahres Selbst“ zu entwickeln. Diese Aufgabe kann mir niemand abnehmen. Ich kann mich daher nicht davon bestimmen lassen, in welche Kultur ich hineingeboren wurde.Wer geistige „Bildungsreisen“ in andere Kulturen unternimmt, der wird sich fragen:Wie wäre es, wenn ich im alten Rom oder im heutigen China geboren worden wäre? Gerade weil Bildung mich über den Horizont der vertrauten Lebensformen, der Gewohnheiten, ja sogar der tradierten Religion erhebt, gerade deshalb erlaubt sie mir, meine Lebensform, meinen Glauben selbstbestimmt zu wählen. Erst wenn mir Alternativen offen stehen, kann ich frei entscheiden. Bildung schützt daher gegen Totalitarismus und die Verabsolutierung partikulärer Perspektiven. Sie erfordert daher auch den ständigen Prozess, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Das unhinterfragte Leben ist nicht wert gelebt zu werden, sagt Sokrates. Bildung heißt daher gerade nicht,dass man seine Quellen vergessen hat. Der Gebildete wird

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