Jesuiten 2012-3

September 2012/3 Jesuiten 1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie die 34 Seiten dieses Magazins durchgelesen haben, werden Sie viele Details der einzelnen Artikel mit großer Wahrscheinlichkeit bereits vergessen haben. Nur herausragende Einzelheiten mancher Artikel werden Ihnen auf längere Zeit im Gedächtnis bleiben: Was berührt, was herausgefordert hat. Mit dieser ernüchternden Perspektive müssen wir leben – sie bestimmt alle Bereiche unseres Alltags. Vergessen hat keinen guten Ruf. Niemand möchte als vergesslich gelten, und die Aussicht, irgendwann vielleicht einmal an AlzheimerDemenz zu erkranken und Schritt für Schritt das Gedächtnis zu verlieren, bereitet vielen Menschen unserer Wissensgesellschaft Sorgen. Nicht nur der Gedächtnisverlust schreckt, sondern auch der damit einhergehende Verlust an Beziehung und Selbständigkeit, ja an Identität und Würde. Alzheimer-Demenz ist eine weit verbreiteteVolkskrankheit, und noch immer ist keine Heilung in Sicht.Wie können wir damit umgehen? Ist das Erleben einer zunehmend dementen Person wirklich nur eine Erfahrung vonVerlust und Abschied? Vergessen hat aber auch positive Seiten: Wer vergessen kann, trägt nicht nach und befreit das eigene Gedächtnis. Doch kann dies nicht auch gefährlich werden, wenn wir das Gedenken zu schnell beenden? Nicht zuletzt die Begegnung mit Opfern von Missbrauch und Gewalt stellt uns hier vor neue Herausforderungen. Und nicht umsonst hat sich gerade in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine Gedenk-Kultur entwickelt, die neben allen positiven Entwicklungen im Umgang mit der eigenen Geschichte auch immer Fragen aufwerfen kann nach dem, was dennoch absichtlich oder unabsichtlich vergessen wird. Die gesellschaftliche Bedeutung dieses Themas ist offenkundig – und doch wird über die alltagsbestimmende Macht des Vergessens wenig nachgedacht. Diese Ausgabe von JESUITEN soll deshalb zunächst erkunden, was Vergessen überhaupt bedeutet: Ist es letztlich vielleicht sogar eine „unaufdringliche Wirkweise Gottes an uns“ (Knut Berner), auf die wir uns nur einlassen, sie aber weder beschleunigen noch aufhalten können? In weiteren Beiträgen kommt zur Sprache, wie das Vergessen als Signatur und Herausforderung unserer Gesellschaft erfahrbar wird. Besonders möchten wir Jesuiten dazu beitragen, dass Gottes Großtaten nicht vergessen werden. Denn gewöhnlich entfallen positive Momente der Erinnerung schneller als schmerzliche. Eine dieser Großtaten war das Zweite Vatikanische Konzil, das in diesen Wochen vor 50 Jahren eröffnet wurde. Es lohnt sich, daran mit Freude und Dankbarkeit zu erinnern und darauf zu achten, was dieser Aufbruch für heute bedeuten könnte. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! Marc-Stephan Giese SJ Bernhard Knorn SJ Johann Spermann SJ

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