Jesuiten 2012-4

Welten sind eindeutig Produkte des schöpferischen Menschen. Aber wo kommt die „reale“ Welt her? Der religiöse Mensch wird an einen Schöpfergott denken, der die Welt geschaffen hat. Der Physiker spricht vielleicht von einem „Urknall“ (der nur ein Denkmodell ist). Beide, den Gott und den Anfang in einer Singularität, können wir nicht fassen. Beide bleiben „virtuelle“ Größen. An den einen wie an den anderen können wir zunächst nur glauben. Lassen sich hier überhaupt Unterschiede ausmachen? Wenn wir Gott das Höchste nennen, ewig, allmächtig usw., können wir uns letztlich nichts mehr darunter vorstellen. Er übersteigt unsere Vorstellungskraft und erst recht unsere sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit. Er ist transzendent. Trotzdem sprechen wir ihm Eigenschaften zu. Gehen unsere Beschreibungen also auf eine virtuelle Realität? Rekonstruieren wir Gott als virtuellen Punkt? Ist er nur unser Konstrukt? Wir müssen bedenken: Unser Denken läuft immer auf einen letzten Orientierungspunkt zu. Dieser ist das Höchste oder das Absolute, weil er selbst nicht mehr gedacht und hinterfragt werden kann. Wenn wir diese Denknotwendigkeit ernst nehmen, dann bieten sich die tradierten Bilder an, nach denen Gott als der Grund der Welt einerseits diese übersteigt, andererseits in jedem Punkt des von ihm Geschaffenen präsent ist. Zunächst ist das für uns nur eine virtuelle Präsenz. Das können wir glauben.Aber dieser Glaube verlangt eine Bestätigung. Erst, wenn wir diesen Glauben durch Erfahrung gefüllt haben, können wir ihn als eine unumstößliche Wahrheit verkünden. Nehmen wir diese Erfahrung als Vergleichsmoment, dann zeigt sich, dass auch virtuelle Computerwelten erfahren werden können. Gottesbilder wie virtuelle Welten sind Produkte des menschlichen Geistes. Beide Wege basieren – wie wir gesehen haben – auf demselben Glauben an ein Axiom. Sie werfen den Menschen zunächst auf sich selbst zurück, beide gehen den Weg der Erfahrung. Der Glaube an Gott führt unweigerlich an die Grenze des Menschseins, die ihn zu seinem wahren Wesen führen kann. Dahin könnte theoretisch auch der andereWeg führen. Dann nämlich, wenn der Mensch wirklich radikal sein Menschsein zu ergründen versuchen würde. Diese Intention scheint man im Cyberspace vergeblich zu suchen. Die Versuchung, beim Schein stehen zu bleiben, ist hier größer. Resümierend bleibt uns also nur, die Aufgabe, bei dem Schein, der sich uns zeigt, zu beginnen, um von dort die wahre Wirklichkeit zu suchen. Dr. Manfred Negele Privatdozent für Philosophie an der Universität Augsburg und Lehrer eines unserer Scholastiker vor dessen Ordenseintritt. Derzeit ist sein Schwerpunkt die Ausbildung angehender Ethiklehrer. Der Beitrag von Manfred Negele steht ungekürzt als App auf der Facebookseite des Ordens zur Verfügung: <www.facebook.com/jesuiten 4 Jesuiten Schwerpunkt: Virtuelle Welt

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