Jesuiten 2012-4

6 Jesuiten Schwerpunkt: Virtuelle Welt Schwerpunkt Virtualität aus der Schulperspektive In den 90er Jahren wurde der Ruf in der Öffentlichkeit laut: „Neue Medien an die Schulen!“ Seitdem hat sich sehr viel getan und auch verändert – Internetzugang an der Schule, Internet-Führerschein, Schutz vor Missbrauch, neue Formen der Recherche, neue Möglichkeiten der Täuschung, neue Prüfungsformate („Präsentationsprüfungen“), Folgekosten bei Geräten und Personal (Systembetreuung), neue Systeme der Datenverwaltung und Schulorganisation und vieles andere mehr. Heute ist es nicht mehr möglich, ohne InformatikSachverstand Schule zu machen.Auf zweiVeränderungen möchte ich hier eingehen, die den schulischen Alltag in seiner pädagogischen Substanz berühren. Verringerung der Abstände zwischen Schule, Jugendlichen und Eltern Beispiel:Am Kolleg in St. Blasien veranstalteten wir kürzlich eine internationale Begegnung von Jugendlichen aus europäischen Jesuitenschulen. Über 400 Schülerinnen und Schüler folgten der Einladung.Wir brachten die Gäste in Jugendherbergen der Umgebung unter. In den Anschreiben an die Eltern machten wir mehrmals deutlich darauf aufmerksam, dass die Schülerinnen und Schüler Schlafsäcke mitbringen sollten.Trotzdem kam eine Gruppe aus Italien ohne Schlafsäcke.Mühsam organisierten die zuständigen Pädagogen noch Decken, damit die Jugendlichen nachts nicht frieren mussten. Am nächsten Tag waren die Rechner der Schulleitung überfüllt mit Mails aus Italien: Eltern beschwerten sich darüber, dass ihre Kinder unter den Decken schlecht geschlafen hatten, empörten sich über die miserable Vorbereitung der Begegnungswoche und verlangten ultimativ sofortige Abhilfe, sprich: ein Bett für jedes Kind. Die Handys und iPads waren in der Nacht zwischen St. Blasien und Genua sehr aktiv gewesen. Die neuen Medien verringern die Abstände – räumlich wie zeitlich – zwischen Eltern, Kindern und Lehrenden. Oft geht es in diesem „magischen Dreieck“ um Anliegen, die emotional hoch besetzt sind. Die Verringerung der Abstände verändert die Beziehungsstruktur. Es stellen sich neue Aufgaben, mit Nachrichten umzugehen, die zu früheren Zeitpunkten die Beteiligten gar nicht oder erst nachträglich erreicht hätten – mit entsprechend weniger Emotionen. Für die Beteiligten ist das eine Chance und eine Belastung zugleich, je nachdem. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Als wir am 28. Januar 2010 die Schülerinnen und Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin über die Missbräuche in den 70er und 80er Jahren informierten, schickten wir unmittelbar danach allen Eltern über den großen E-MailVerteiler ein kurzes Protokoll dessen, was wir den Schülern gesagt hatten. So konnten wir absichern, dass in einer so komplexen Materie die Eltern von uns zuerst erfahren, was wir ihren Kindern gesagt haben, bevor ihre Kinder es ihnen erzählen. Denn auch das ist ja eine Lehrererfahrung: Es gelingt Kindern und Jugendlichen nicht immer, korrekt zu Hause wiederzugeben, was sie in der Schule gehört haben. Und umgekehrt kann das wiederum zu Missverständnissen zwischen Schule und Elternhaus führen, die ihrerseits dann wieder mühsam richtiggestellt werden müssen. Und je geringer die Abstände sind, um miteinander zu kommunizieren, umso höher schlagen die Emotionen. Man kann es auch so ausdrücken: Die Verringerung der Abstände erhöht den

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