Jesuiten 2013-1

Die Steine werden schreien Biblische Szenarien Befreiung Das Volk Israel unter Josuas Führung wartet am Westufer des Jordans. Ihm wird für „morgen“ eine Großtat Jahwes angekündigt. Sobald die Träger der Bundeslade mit ihren Füßen das Wasser berühren, staut sich der Jordan am Oberlauf wie ein Wall, während das Wasser zum Salzmeer hin vollständig abfließt. Die Israeliten ziehen auf trockenem Boden ans andere Ufer. Josua errichtet in der Mitte des Flussbetts so viele Steine zu einem Denkmal, wie es Stämme in Israel gibt. Und die Vertreter der zwölf Stämme tragen je einen Stein aus dem Flussbett ans Ostufer, wo Josua die zwölf Steine als ein ewiges Erinnerungszeichen aufstellt. Wenn später die Söhne ihre Väter fragen: Was bedeuten diese Steine?, dann sollen die Augenzeugen antworten: Hier hat Israel trockenen Fußes den Jordan durchschritten. Hier hat Jahwe das Wasser des Jordan austrocknen lassen, genauso wie er es am Schilfmeer gemacht hat. Der Durchzug durch den Jordan erneuert das ursprüngliche Ereignis des Exodus. Das Denkmal der zwölf Steine verstrahlt einen Glanz, der das Bekenntnis Israels zu Jahwe spiegelt, dass Er sein Volk aus dem Arbeitshaus Ägypten befreit hat. Den fremden Völkern im Ostjordanland zerschmilzt darüber das Herz und stockt der Atem. Der Psalmist formuliert es so: Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen. Das Netz ist zerrissen, und wir sind frei. Grund und Boden Die Glut der Erinnerung an Jahwes Großtaten, verglimmt bereits, als die Söhne das Land der fremden Völker mit militärischer Gewalt besetzen und die eigenen Heldentaten mit dem Segen Jahwes verklären. Israel will sich zur Ruhe setzen auf dem angeeigneten Grund und Boden. Eine menschliche Dynastie soll das einzige Königtum Gottes verdrängen. Die zwölf Steine sind verstummt. Dann jedoch lässt Nebukadnezar sie aufschreien, als er den Tempel Salomos in Schutt und Asche legt, dem letzten Davidserbe ein blutiges Ende bereitet und das Volk aus dem gesegneten Land der Väter verbannt. Doch die Propheten deuten die religiöse Katastrophe als einen Anstoß zu glauben – ohne eigenen Grund und Boden, ohne abschreckende Staatsmacht, ohne Kultstätte aus Stein und Eisen, die nur scheinbar nicht bricht. Dennoch bleibt das Verlangen religiöser Menschen, ihren Glauben zu versteinern und ihn auf festem Grund und Boden zu verankern, überwältigend. Selbst Christen erliegen der Versuchung, ihren Glauben in Stein zu hauen, anstatt auf das zu hoffen, was nicht zu sehen ist. Die biblischen Bilder einer himmlischen Stadt, gebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten mit Jesus Christus als Schluss-Stein, umgeben von Mauern mit zwölf Grundsteinen, auf denen die Namen der Apostel stehen, sind wohl fehlerhaft übersetzt, wenn Kirchenführer aus ihnen verfestigte Strukturen und Machtmonopole ableiten. 22 Jesuiten n März 2013 n Die Sprache der Steine Geistlicher Impuls

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