Jesuiten 2013-1

Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, was würden die Steine erzählen im nahe gelegenen Gefängnis in Berlin Plötzensee von den letzten Stunden der Frauen und Männer, die dort von den Schergen der nationalsozialistischen Diktatur mit der Guillotine oder an Fleischerhaken aufgehängt ermordet wurden? Steine können sprechen wie Räume und Farben. Wie? Das wollen wir mit dieser Ausgabe zeigen. Dieses Jahr wird einer der faszinierendsten modernen Kirchenbauten in Deutschland 50 Jahre alt. „Maria Regina Martyrum“, „Maria Königin der Märtyrer“, ist ein vom deutschen Laienkatholizismus initiierter Kirchbau, der dem Gedenken an die Menschen einen Ort geben soll, die auch in Bedrängnis ihrem Gewissen und ihrem Glauben treu geblieben waren. Es ist ein sperriger Bau, der sich nicht jedem erschließt. Dem, der sich darauf einlässt, eröffnet sich jedoch durch den Raum ein geistlicher Kosmos wie in den großen Kathedralen. Diese Kirche ist mehr als Versammlungsort und Hülle für die Liturgie. Wer hierher kommt, wird ästhetisch, geistig und geistlich gefordert: Man muss sich selbst öffnen für die Sprache des Raums und braucht Zeit, um innere Wege zu gehen. Dieser Raum stößt alle Versuche zurück, das Gotteshaus zum heimeligen Wohnzimmer zu degradieren: keine platten Illustrationen, keine christentümelnden Sprachfloskeln der katholischen Devotionalien- und Bildindustrie und kein katechetischer Firlefanz versuchen einem hier die christliche Botschaft leicht verdaulich zu servieren. Der Architekt Hans Schädel eröffnet vielmehr durch das Erleben äußerer Räume, durch überraschende Perspektiven und hochrangige Kunstwerke, die in dieses Gesamtkunstwerk hinein komponiert sind, innere Räume geistlichen Erlebens. Die Erfahrung der letzten Stunden von Helmuth James Graf von Moltke und Pater Alfred Delp, um diese nur stellvertretend zu nennen, werden nicht enteignet zur Illustration. Aber die ihrem Erleben selbst innewohnende Transparenz ihres Schicksals hin auf das Mahl, auf Kreuz und Auferstehung, wird für die Besucher der Kirche buchstäblich am eigenen Leib erfahrbar. Und so öffnen sich die inneren Sinne für die Feier des letzten Abendmahles. Hans Schädel traut sich, die christliche Botschaft in der Sprache der eigenen Zeit zu sagen. Gerade dies reiht ihn in unseren Augen ein in die Tradition großer Kirchenbaumeister. Liebe Leserinnen und Leser, wir möchten Sie mit dieser Ausgabe einladen, diesen Ort, der uns im Gedenken an Pater Alfred Delp wertvoll ist, zu besuchen. Wir wollen Sie einladen, mit uns verschiedene Wege zu gehen, sich einen Raum und seine Kunstwerke geistlich zu erschließen. Denn die Kirche Maria Regina Martyrum zeigt, wie moderne Architektur sich in hervorragender Weise als Ausdrucksmittel theologischer Erkenntnis und Raum geistlicher Erfahrung eignet. Claus Pfuff SJ Tobias Zimmermann SJ 1 Jesuiten n März 2013 n Die Sprache der Steine

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