Jesuiten 2013-2

Europa von unten Die Notwendigkeit einer integralen Evangelisation Europas Ich lebe und arbeite in Madrids Stadtviertel Ventilla, wo vor 100 Jahren der Jesuitenheilige José María Rubio etwas zu entwickeln begann, was er „integrale Evangelisation” nannte, also eine Evangelisation, die neben einer katechetischen und liturgischen auch eine soziale und erzieherische Dimension hat. Ist so etwas in einem Sozialstaat im Jahre 2013 auch noch notwendig? Ich möchte dazu vier Geschichten aus dem Alltagsleben unseres Viertels erzählen. Die Zahlen zur Arbeitslosigkeit in Spanien sind so erschreckend, dass sie fast nicht zu glauben sind. Die Arbeitslosenquote beträgt 25%. In mehr als 10% der spanischen Haushalte sind alle Mitglieder von Arbeitslosigkeit betroffen. Unter Jugendlichen oder Migranten wird die Arbeitslosenquote von 50% überschritten. Eine konkrete Lebensgeschichte dazu: Unser Nachbar Mohamed ist Spanier mit marokkanischem Hintergrund. Er ist Bauarbeiter, 47 Jahre alt und seit drei Jahren arbeitslos. Seine Arbeitslosenhilfe ist ausgelaufen. Seine Frau Fátima arbeitet stundenweise als Haushaltshilfe, was das einzig regelmäßige Einkommen der Familie darstellt. In dieser gesellschaftlichen Situation, schließt die Stadtregierung Madrids im Juni 2012 ihre Zentren der Arbeitsvermittlung. Die Sparpolitik trifft in diesem Fall die Personen, die die größten Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen: Behinderte, Migranten und Frauen. Eine weitere Geschichte: Mein Freund Yaya kam vor vier Jahren aus Mali nach Spanien, nach einer Odyssee durch Afrika. Zurzeit fehlt ihm eine Wohn- und Arbeitserlaubnis. Die Reform des Gesundheitswesens, die von der spanischen Regierung im April 2012 erlassen wurde, hat zur Folge, dass er zu diesem keinen Zugang mehr hat. Er hat eine chronische und degenerative Augenkrankheit, die zur Erblindung führt. Seine Ärzte kennen ihn schon lange und wollen ihn weiter behandeln, aber politische und bürokratische Entscheidungen verhindern dies. Yaya erblindet, aber unser System (vormals „Wohlfahrtsstaat“ genannt) erblindet ebenfalls. Es erweist sich unfähig, das Leiden der Personen zu sehen, die am Verwundbarsten sind. Zur Blindheit kommt die Kurzsichtigkeit. Die Kürzungen im Bildungssektor sind ohne Zweifel, eine sehr kurzsichtige Maßnahme. Damit werden kurzfristig Einsparungen erzielt, die in einer nicht allzu fernen Zukunft schwere und nachhaltige Schäden zur Folge haben werden. Die 16-jährige Oberstufenschülerin Luisa ist in Madrid als Tochter einer bolivianischen Mutter und eines spanischen Vaters geboren. In diesem Jahr gab es in ihrer Schule – wie in so vielen anderen – kein Bücherstipendium. Ohne 16 Schwerpunkt Jesuiten n Juni 2013 n Europa!

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