Jesuiten 2013-2

Die Treppe hinab Im Evangelium nach Lukas beobachtet Jesus, wie sich die geladenen Gäste die Ehrenplätze aussuchen. Ihnen gilt seine Mahnung: „Wenn du eingeladen bist, setz dich auf den untersten Platz.“ Dieses Wort hat die Kleinen Brüder und Schwestern von Charles de Foucault zu einer entschiedenen Option inspiriert, ihr Leben mit den Armen zu teilen und dauerhaft unter ihnen präsent zu sein. Auch Arbeiterpriester haben diese Mahnung Jesu radikalisiert und sich geweigert, den letzten Platz zu verlassen und sich von den Kollegen zum Betriebsrat wählen zu lassen. Spricht Jesus nur eine Empfehlung aus, bescheiden zu sein? Oder verkörpern sein Lebensstil und er selbst die Absicht Gottes, den letzten Platz unter den Menschen zu wählen? Jahwe hat unter den Völkern nicht diejenigen erwählt, die zahlreich und mächtig sind, um andere zu beherrschen. Seine Wahl gilt dem kleinsten unter allen Völkern, dem Wurm Jakob, dem Würmlein Israel. Jesus hat nicht das Ambiente der Hauptstadt gesucht, das Milieu der religiösen und politischen Eliten. Sein vorrangiger Ort war Galiläa, die Lebenswelt der Bauern und Fischer, das geächtete Volk, das vom Gesetz nichts versteht. Der Philipperbrief fasst den hinabsteigenden Lebensentwurf Jesu in die Worte: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ Sind die Christen, sind die verfassten Kirchen in der Lage, über ihre verbale „Option für die Armen“ hinaus die gesellschaftliche Treppe hinabzusteigen und das Leben mit den Benachteiligten zu teilen? Christen in Europa sind beunruhigt über die monetären Turbulenzen und die realwirtschaftlichen Spaltungen, die längst nicht bewältigt sind, auch wenn die Regierenden Parolen streuen, sie hätten die Metastasen der Krise im Griff. Sie meinen nämlich, mit geschärften finanztechnischen Instrumenten dort fortfahren zu können, wo der Trend wachsender Produktion und zusätzlichen Konsums unterbrochen worden war. Was Europa zuerst braucht, ist eine Architektur der Solidarität. Leider neigen die wirtschaftlich stabilen Länder zu einer verengten Sichtweise. Sie gleichen darin den von Jesus beobachteten Gästen, die auf die Ehrenplätze starren und behaupten, sie entsprächen ihren Verdiensten. Aber sind sie berechtigt, diese ausschließlich als ihr eigenes Verdienst zu beanspruchen? Verdanken sie nicht vieles von dem, was sie sind, dem Zusammenspiel aus Zufall, günstiger Startposition und Vorleistungen, die andere für sie erbracht haben? Wer sich derart überzogen einschätzt, deutet alles Geschehen aus der eigenen Perspektive der Stärke und nicht vom Standpunkt der Schwächeren aus. Er 22 Jesuiten n Juni 2013 n Europa! Geistlicher Impuls

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