Jesuiten 2013-3

Ein Platz für unsere Wunden „Herz Jesu – das ist gemeinhin der Inbegriff peinlicher Sentimentalität“ (A. Stock). Herz-Jesu-Bilder gelten vielen als Beispiel religiösen Kitsches, die entsprechenden Gebete als Beispiel exaltierter Devotion. Trotzdem konnten sich sowohl das Fest als auch die Frömmigkeit bis heute halten. Vielleicht liegt es daran, dass diese Frömmigkeit auf biblisch, theologisch und anthropologisch festem Grund steht. In christlicher Deutung wird Christus zum neuen Moses, der nicht nur das Wasser aus dem Felsen gibt, nach dessen Genuss man später wieder Durst bekommt, sondern der das lebendige Wasser gibt, das er aus dem „Felsen seines Herzens“ spendet (Joh 19,34ff.). Dementsprechend ist der biblische Referenzpunkt für die Herz-Jesu-Verehrung die vom Johannes-Evangelium beschriebene Szene der Durchbohrung der Seite Jesu, aus der Blut und Wasser hervorquollen. Für die Väter der kleinasiatischen Theologie ab dem 2./3. Jh. war das Herz Jesu, das mit der Seitenwunde identifiziert wurde, die Quelle, aus der die Sakramente Taufe (Wasser) und Eucharistie (Blut) – und damit die Kirche – hervorströmen. Die von Origenes beeinflusste alexandrinische Richtung legte den Akzent auf die Erkenntnis, die aus dem Herzen des Herrn fließt. Damit steht der Einzelne in mystischer Einheit mit dem Herrn im Vordergrund. Die spätere HerzJesu-Verehrung nahm beide Strömungen, die ekklesiologische und die mystische, auf. Die neuerliche Hinwendung zur Menschheit Christi ab dem 12. Jahrhundert förderte eine intensivere Betrachtung seines Leidens. Die Wunden Jesu wurden bei Bernhard von Clairvaux – unter Aufnahme eines Motivs aus dem Hohenlied (2,14) – zu Stellen, in denen die Vögel Nester bauen können. Der Mensch hat in Christi Wunden, besonders der Herzwunde, Platz für seine eigenen Wunden. Das Herz Jesu wird zur Verkörperung des Gottes, der sich in Christus verwundbar macht, nicht der ferne und unnahbare, sondern der mittragende und mitleidende Gott, der aus eigener Erfahrung weiß, was Leid und Schmerz bedeutet und deshalb den Menschen barmherzig nahe ist. Die fruchtbarste Zeit der mittelalterlichen Herz-Jesu-Verehrung war die Zeit der deutschen Mystik und der Frauenmystik des 13./14. Jhs. Die Johannesminne, das Ruhen am Herzen Jesu, aus dem die Schauenden Ströme lebendigen Wassers trinken, war ein wichtiger Betrachtungspunkt. Diese Zugänge können eine Frömmigkeit erschließen, die nichts von „peinlicher Sentimentalität“ haben muss. Für unsere Zeit ist vielleicht gerade das, worauf Bernhard hinweist, bedenkenswert: Christus verbirgt seine Wunden, sein durchbohrtes Herz nicht, sondern zeigt es. Wir finden Platz in ihm und vielleicht auch Mut, es ihm gleichzutun. Dominik Terstriep SJ 14 Schwerpunkt Jesuiten n September 2013 n Ein Herz grösser als die Welt Foto: Andreas Praefcke

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