Jesuiten 2014-1

„… und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter!“ (Lukas 19,5) Zachäus hat die Distanz gewählt. Viele hätten ihn dort sitzen lassen. Jesus aber sieht den Wunsch nach Berührung und Kontakt, der in der Wahl des Standortes liegt, und lädt Zachäus ein, sich berühren zu lassen. Herunterkommen Ich mochte Zachäus und die Geschichte von ihm stets sehr gern: Da ist dieser junge Mann, der mehr möchte, als ihm von seiner „Stellung“ her zustand, dem der Blick verstellt war durch die Großsubjekte in der ersten Reihe. Und mir gefiel natürlich die Pfiffigkeit und der Mut, vorauszulaufen (allein das schon ein starkes Stück!) und auf den Baum zu klettern. Da ist ein Gespür für den Weg, den Jesus gehen wird. Aber Zachäus kann (noch) nicht Teil dieses Weges sein, obwohl er es doch eigentlich so sehr möchte. Er möchte schauen und riskiert bewusst, gesehen zu werden. Da wird er gesehen – und seine Sehnsucht findet Antwort; Jesus kehrt bei ihm ein. Ich lese und betrachte diese Geschichte heute ganz anders. Das liegt nicht daran, dass die Exegeten wesentlich Neues über das Lukas-Evangelium entdeckt hätten, sondern dass ich seit dem Frühjahr 2010 einen neuen Blick auf meine Gefährtenschaft mit dem Herrn habe, eine neue Wahrnehmung von Oben und Unten, von Macht und Ohnmacht, von Nachfolge und Kirche. Ich entdecke neu und anders, wie Jesus mich anblickt „da oben“ auf dem Baum. Es klingt stark und vielleicht zu pathetisch, aber es gibt eine Art „Bekehrung“ meines Blicks auf diese Szene an der Straße in Jericho. Ich habe die Monate nach dem Bekanntwerden des vielfachen Missbrauchs in unseren Kollegien oft als „die längsten Exerzitien“ meines Lebens bezeichnet. Neben Krisenmanagement, Aufklärungsarbeit, Prävention, Kommunikation nach innen und außen ist das Fürwahrnehmen des Missbrauchs ganz wesentlich auch ein geistlicher Prozess. Der Blick auf die Betroffenen und das Wahr-Nehmen ihrer Geschichte(n) bedeutet einen wirkmächtigen Perspektivwechsel. Über Wochen und Monate und eigentlich noch immer höre ich den Ruf Jesu an mich, an uns Jesuiten und in die Kirche hinein: „Komm schnell herunter!“ ... von deinem Baum, von deinem Hohen Ross, von deiner Selbstgewissheit und Abgehobenheit. Stelle dich deiner Verstrickung und deiner Schuld, deiner Blindheit. Drei Kapitel weiter findet sich die wunderbare Szene der Verleugnung Jesu durch Petrus. Noch während der Hahn zum dritten Mal kräht, „wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich ... Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“ (Lk 22,54-62) Johannes Siebner SJ Schwerpunkt 11 Jesuiten n März 2014 n Zachäus

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==