Von den Prioritäten Jeder Mensch hat täglich mit den Prioritäten zu kämpfen, so ist mein Eindruck. Ständig drängt sich etwas in den Vordergrund, nimmt Zeit und Raum ein, so dass es dann Mühe macht, die Dinge zu ordnen und nicht die Übersicht zu verlieren. Seit Jahren hilft mir da eine Stille Zeit am Morgen, vor Beginn der Arbeit. Ich nehme dazu das Evangelium des Tages und oft meinen Terminkalender. Der Blick in den Kalender löst dann nicht unbedingt Ruhe aus, im Gegenteil, es kommt eher ein Gefühl der Ratlosigkeit, wie man das dann alles schaffen soll und wann noch etwas vorbereitet werden kann. Das stimmt. Aber dann bringe ich das alles – das drängende Chaos, die Unübersichtlichkeit und die eigene Mühe vor Gott und bitte um Hilfe. Und am Ende der Stillen Zeit habe ich oft erlebt, dass sich die Dinge geordnet haben. Ich weiß dann auch, womit ich anfangen muss. Das klingt vielleicht etwas simpel und naiv, vielleicht auch fromm. Wer es aber einmal versucht, wird feststellen, wie schwierig es ist, wie viel es an innerer Disziplin verlangt und auch, was es an Kraft kostet. Hans Magnus Enzensberger hat die Situation vieler Menschen sehr deutlich in seinem Gedicht „First Things First“ zur Sprache gebracht: „Grundsätzlich haben wir nicht viel einzuwenden gegen Fegefeuer, Reinkarnation, Paradies. Wenn es sein muss, bitte! Vorläufig allerdings haben wir andere Prioritäten. Um das Katzenklo, den Kontostand und die unhaltbaren Zustände auf der Welt müssen wir uns unbedingt kümmern, ganz abgesehen vom Internet und von den Wasserstandsmeldungen. Manchmal wissen wir nicht mehr, wo uns der Kopf steht vor lauter Problemen. Immerzu stirbt jemand, dauernd wird jemand geboren. Da kommt man gar nicht richtig dazu, sich Gedanken zu machen über die eigene Unsterblichkeit. Erst einmal ein rascher Blick in den Terminkalender, dann sehen wir weiter.“ (Aus: Leichter als Luft. Moralische Gedichte. Frankfurt, 1999) 22 Jesuiten n November 2014 n Jesuit sein heute? Gerade heute! Geistlicher Impuls
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