Jesuiten 2015-2

Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, Vom „Gespür für Gottes Willen“ spricht Ignatius in dem „Bericht des Pilgers“, der Erzählung seines Lebens. Ein schönes Wort, das Zutrauen und kluge Vorsicht zugleich ausdrückt. Kluge Vorsicht, weil es zeigt, dass Gottes Willen nicht einfachhin klar ist. Es gibt ihn, aber man kann ihn nicht einfach nachlesen oder gesagt bekommen. Man kann ihn nicht besitzen, verwalten und verordnen, man muss ihn suchen und finden. Zutrauen, weil es zeigt, dass die Suche keine leere und vergebliche Mühe ist. Man kann sich einüben, Gottes Willen zu erspüren, man kann für ihn eine Sensibilität entwickeln und Ungehörtes sich erhören. Ich kann herausfinden, was Gott für mein Leben will. Die Orientierung, den Kompass für diese Suche, nennt Ignatius die „Unterscheidung der Geister“. Für sie gibt er in seinem Exerzitienbuch eigene Regeln. Er gibt sie, weil nicht jeder Gedanke, den ich in den Exerzitien habe, nicht jede Einsicht, die mir plötzlich klar wird, und jedes Gefühl, das mich ergreift, sogleich die direkte Stimme Gottes ist. Er lehrt sie auch, weil er selbst nur zu gut wusste, dass gerade bei Menschen, die überzeugt vom Guten sind, die Gefahr wächst, den eigenen Willen mit dem Willen Gottes zu verwechseln. Er beschreibt sie in typischer Systematik zur Erprobung und zur Prüfung. Aber er gibt sie nicht nur für die Exerzitien, sondern umso mehr für den Alltag. Die Unterscheidung der Geister ist das Gespür im Alltag, das mir helfen kann, mich zu orientieren und meine Ausrichtungen zu überprüfen. Die vorliegende Ausgabe der JESUITEN möchte in kurzen Artikeln, die aus der persönlichen Erfahrung sprechen, über die „Unterscheidung der Geister“ berichten – und ihre Vorgehensweise zugleich abbilden. Deshalb hat sich die Struktur des Schwerpunktthemas von den „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ selbst inspirieren lassen: Nachdem Provinzial Stefan Kiechle SJ in einem Überblicksartikel das Thema grundsätzlich umrissen hat, greift der zweite Teil wichtige Kriterien der „Unterscheidung der Geister“ heraus, so z.B. den „Geschmack“, die „Dauer“, die Frage nach dem Ziel und der situativen Angemessenheit, den Umgang mit Traurigkeit und Trauer. Die letzten drei Artikel zeigen schließlich, dass die „Unterscheidung der Geister“ nicht allein im inneren Herzenskämmerchen, sondern immer auch in aktiver Auseinandersetzung mit der Welt um uns herum geschieht. Dass dabei Spannung und Harmonie aufeinander bezogen sind, wollen wir mit dem musikalischen Bildprogramm zu diesem Schwerpunkt illustrieren. Wir wünschen Ihnen eine geistreiche Lektüre! Johann Spermann SJ Tobias Specker SJ 1 Jesuiten n Juni 2015 n Gott will es? Unterscheiden!

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==