Jesuiten 2016-1

Und dann liegt sie da, verwundet, ausgeraubt, im Innersten getroffen – gelähmt. Schritte nahen – es ist ein Geistlicher. Und es ist gut, dass er vorbeigeht. Wichtigeres zu tun hat, als zu helfen. Worte helfen jetzt nicht! Und Geistliche sprechen oft Worte – Worte von Schuld und Vergebung und Versöhnung: „Du musst dem Täter vergeben“ – wie oft habe ich das gehört! Und es hilft nicht! Es erreicht mich als Verletzte gar nicht! Auch die Rede von Gott, der alles sieht und immer da ist, hilft nicht. Wo war Er? … als der Missbrauch geschah? … als mir etwas so Wertvolles genommen wurde, ich ausgeraubt wurde? Der Geistliche geht vorüber – vertieft in seinen nächsten Gottesdienst und all die Worte, die er sagen wird – und es ist gut so. Ich atme auf … Auch der nächste Geistliche, in der Geschichte ein „Levit“, wirft nur kurz einen Blick auf den Verletzten am Boden und geht vorüber. Ja – manchmal ist es besser, man geht vorüber, vor allem, wenn man „nichts sieht“ von dem, was da geschehen ist. Ja – Vorübergehen ist manchmal hilfreicher, auch für die Verletzte! Dann kommt ein Außenseiter, einer, der nicht dazugehört – damals ein Samariter, kein „rechtgläubiger“ Jude. Er bleibt stehen. In ihm ist etwas angerührt, als er den Verletzten sieht. Und er hilft, verbindet die Wunden, lädt ihn auf seinen Esel (er verlangt nicht: Geh selber!), bringt ihn an einen Ort, wo für den Verletzten gesorgt wird. Keine frommen Worte von „Vergebung und Versöhnung“ – einfach Versorgung der sichtbaren Wunden. Der Verwundete muss nicht reden! Opfer brauchen Barmherzigkeit … ganz viel Zeit, um zu Überlebenden zu werden – oft länger als 40 Wochen! … wahrgenommen werden, ganzheitlich, das Spüren, da „sieht“ jemand meine Not, auch das, wofür mir die Worte noch fehlen, weil es so furchtbar ist oder gewesen ist. … Geduld für sich selber und Menschen, die Geduld mit ihnen haben … Hilfe, um selber spüren und sagen zu lernen, was sie brauchen … keine großen Worte, auch kein Reden von „Vergebung und Versöhnung“ … irgendwann dann ein „Ja“ zu dem, was geschehen ist, denn nur was angenommen ist, kann sich verändern (kein Ja zum Täter oder Verständnis für ihn! Ein Ja zu mir! Das ist schwer genug!) … „neue“ Geschichten von Menschen, die Heilung erfuhren, z.B. Geschichten von Jesusbegegnungen in den Evangelien (und die Methode des Ignatius, sich in diese Geschichten hineinzuversetzen, finde ich weiterhin sehr hilfreich) – für mich war geistliche Begleitung sehr hilfreich … auch ein „JA“ dazu, dass frau ein Leben lang Über-Lebende bleibt, aber mit der Zeit wandert die Betonung vom „Über“ zum „Lebende“ 7 JESUITEN n MÄRZ 2016 n DER BARMHERZIGE SAMARITER Elke Ruegger-Haller

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