Jesuiten 2016-2

Der Prediger als Hörender Kurz nach der Priesterweihe wurde mir eines sehr schnell klar: In den meisten Gottesdiensten, denen ich vorstand, war ich einer der Jüngsten. Was hat diese Einsicht für Konsequenzen, wenn man vor einer Gemeinde steht und predigt? Da hat man seine ganze Theologie und Philosophie, eine Menge Elan und Begeisterung für die Arbeit und einiges an Idealen – und vor einem sitzen Menschen mit viel mehr Lebenserfahrung und wollen zuhören. Kann es die Aufgabe des Predigers sein, den Menschen von seinem Wissen, seinen Einsichten und (echten oder vermeintlichen) Weisheiten mitzuteilen? Nach einer Messe kam ein Gottesdienstbesucher zu mir und bedankte sich für die Predigt mit den Worten: „Ich hatte das auch schon so gedacht, aber mir haben immer die Worte dafür gefehlt.“ Wäre es nicht brillant, wenn der Prediger dabei hilft, dass die Menschen zu einem Vokabular finden, mit dem sie ihre eigenen Glaubens- und Lebensfragen stellen und miteinander nach Antworten suchen können? Wenn er nicht den großen Weisen vom Berg spielt, der den anderen das Leben und Gott erklärt, sondern wenn er ein Gespür für die Fragen derer entwickelt, die vor ihm sitzen – und eben keine Antwort darauf gibt? Wenn ich heute vorne stehe, dann sehe ich junge Menschen vor mir, die mit Herausforderungen zu ringen haben, die mir als Ordensmann erspart bleiben: die Sorge für eine Familie, die Angst um den Arbeitsplatz (oder davor, keinen zu bekommen), die Gestaltung der Partnerschaft und die Erziehung der Kinder, all das prägt ja das Leben und auch die eigene Spiritualität. Oder die alten Menschen, die oftmals schon Situationen durchleben mussten, über die ich predigen zu dürfen glaubte – es wäre unehrenhaft, so zu tun, als könnte ich diesen Menschen etwas übers Leben erzählen, so als hätte ich ihnen etwas voraus. Genauso unehrenhaft wäre es aber, sich ins bloß luftig irreal Spirituelle zu verabschieden. Es gehört zur Arbeit des Predigers, zu verstehen, für welche Fragen, welche Nöte die Menschen, mit denen er zu tun hat, Worte, Ideen, Anregungen brauchen. Er ist niemals Anführer, manchmal Begleiter, immer Lernender. Der hörende Prediger ist derjenige, dem die Bitte aus einem der Schweizer Hochgebete in Fleisch und Blut übergegangen ist: „Mache uns offen für die Menschen um uns, dass wir ihre Trauer und Angst, ihre Hoffnungen und Freuden teilen und ihnen den Weg weisen zum Heil.“ Ansgar Wiedenhaus SJ SCHWERPUNKT 11 JESUITEN n JUNI 2016 n PREDIGEN Papst Franziskus während der Predigt, Petersdom in Rom © KNA-Bild

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==