Jesuiten 2016-3

Kieselhärte Manchmal weiß mein Feind gar nicht, dass er (oder sie) mein Feind ist. Er fügt mir Schmerzen zu und merkt gar nicht, dass er mir Schmerzen zufügt. Ich stehe dann oft vor der Frage, ob es klug ist, meinem Feind zu zeigen, dass er mir wirklich weh tut – oder ob ich damit einen Fehler mache, weil ich ihm genau dadurch, dass ich ihm oder ihr meine Schmerzen zeige, das Futter gebe, das er braucht, um weiter zubeißen zu können. Mein Feind labt sich sozusagen an meinem Blut – deswegen gebe ich ihm keins. Ich mache mein Gesicht „hart wie einen Kiesel“ (Jes 50,7). Ich gebe meinem Feind nicht die Bedeutung in meinem Leben, die er vielleicht gerne hätte, und zeige ihm zugleich nicht, dass er zurzeit mehr Bedeutung in meinem Leben hat, als mir lieb ist. Mir geht es zum Beispiel schon oft bei Mails so: Ein Kollege, eine Angestellte, ein Vorgesetzter oder wer auch immer schreibt mir eine emotionale Mail, in anmaßendem Ton, mit Beschimpfungen oder Unterstellungen; ich kann die ganze Nacht nicht schlafen und wälze meine Gedanken, wie ich eine messerscharfe Mail zurückschreiben könnte. Oder im beruflichen Alltag: Eine Person intrigiert gegen mich, ich weiß es, und muss es dennoch für mich behalten, um Dritte zu schützen; jeden Morgen, wenn ich aufstehe, schleppe ich mich zur Arbeit, denn ich weiß, dass ich der Person begegnen werde und dann ein sachlich-freundliches Gesicht zeigen muss. Oder ein Geschäftspartner überzieht mich mit Klagen, um möglichst viel Geld aus mir herauszupressen; ich träume schon wochenlang vor dem Verhandlungstermin Alpträume über alles, was passieren kann und weiß, dass die unendliche Geschichte auch nach dem nächsten Verhandlungstermin weitergehen wird. „Kieselhärte“ des eigenen Gesichts in der Konfrontation mit meinem Feind ist für mich eine Form der gewaltfreien Kommunikation in einer anstrengenden, mir aufgebürdeten Konfliktsituation, der ich – aus welchen Gründen auch immer – nicht entweichen kann. Kieselhärte des Gesichts ist nicht aggressiv, sondern hält den Feind auf Distanz. Sie zermürbt den Feind dadurch, dass sie seine Aggression aushält, ohne zurückzuschlagen. Der Feind findet an mir seine Grenze. Das ist ein Dienst an ihm und oft auch an der ganzen Gemeinschaft, an dem ganzen Betrieb. Meine Erfahrung darüber hinaus ist: Im Aushalten des Feindes wachse auch ich selbst. Am Ende darf ich auf meine „Bedränger“ schauen, nicht hochmütig und besserwisserisch, sondern dankbar. „Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken.“ (Ps 42,12) Klaus Mertes SJ 10 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND

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