Jesuiten 2016-3

Kommt und seht! Mit dieser Einladung Jesu beginnt der Bericht über sein öffentliches Leben im Johannesevangelium. In einer Einführung (Prolog) wird vorher vom schöpferischen Wort gesprochen, dem wir in der Person Jesu begegnen. Ähnlich wie in den anderen Evangelien kommt dann Johannes der Täufer in den Blick. Eine Abordnung aus Jerusalem ist bei ihm und fragt: „Wer bist du?“ Mit einem Satz des Propheten Jesaja antwortet er: „Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft.“ Danach soll er seine Taufpraxis rechtfertigen. Jetzt wird der Text ganz aktuell: „Ich taufe mit Wasser“, sagt Johannes, „mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ Das ist unsere Situation. Mitten unter uns lebt der Auferstandene, den wir in der Regel übersehen. Am nächsten Tag geht Jesus nochmals zu Johannes, der über ihn sagt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt.“ Am dritten Tag wiederholt er diese Aussage. Zwei seiner Jünger hören dies und gehen Jesus nach. Er fragt sie: „Was wollt ihr?“ Die beiden antworten: „Wo wohnst du?“ Wohnen kann unterschiedliches bedeuten. Ich höre: „Wo ist dein persönlicher Schutzbereich, dein Lebensmittelpunkt?“ Luther übersetzt: „Wo bist du zur Herberge?“ Wir stellen uns in Mitteleuropa Wohnen meist nur in einem Haus – also mit einer Wohnadresse – vor. In unserer Rechtsordnung können Wohnungslose beim kleinsten Verdacht inhaftiert werden, da ihnen ein Gerichtstermin nicht zugestellt werden kann. Jesus antwortet mit keiner Ortsangabe, sondern lädt die beiden Männer zu sich ein: „Kommt und seht!“ Das ist ein großer Schritt, Fremde einzuladen und sie zu bitten, sich aufmerksam umzusehen. Nachdem Jesus die ersten Phasen seiner Menschwerdung in geschützten Räumen durchlief, spricht er jetzt diese Einladung aus. Ein neues Kapitel in seinem Leben ist aufgeschlagen. Wir müssen unser Schutzbedürfnis und das der Gemeinschaften, in denen wir leben, ernst nehmen und die dazugehörenden Räume des Vertrauens. Auch später zog sich Jesus in die Berge zurück, um die Einheit mit unserem Vater lebendig zu halten. Ebenso lädt er uns ausdrücklich zu diesem vor der Öffentlichkeit verborgenen Gespräch mit der Basis unseres Lebens ein. Doch wenn wir dem Auferstandenen in uns nicht das Wort verbieten, kann er uns auch spontan durch wildfremde Menschen einladen, diese Grenze zwischen öffentlich und privat zu überschreiten, in einer Notlage vielleicht oder aus einem Liebesimpuls heraus. Das Brotbrechen, dieses Teilen des Lebens, ist dann aus der Sicht vieler unvernünftig. Doch ist es gut, den inneren Impuls zu bemerken und ihm manchmal ohne langes Abwägen zu folgen. 22 JESUITEN n SEPTEMBER 2016 n MEIN FEIND GEISTLICHER IMPULS

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==