Jesuiten 2016-4

Das „magis“ als ignatianische Versuchung Ein Gespräch zwischen Joachim Hartmann SJ und Annette Clara Unkelhäußer Annette Clara Unkelhäußer: Was bedeutet für Dich das Wort „magis“? Joachim Hartmann SJ: Das Wort „magis“, im Deutschen „mehr“, kennzeichnet für mich ein dynamisches Prinzip der Ignatianischen Spiritualität auf Entfaltung und Fruchtbarkeit hin. Ein positives Prinzip also. Wie passt das jetzt zu unserer kritischen Perspektive der Versuchung des „magis“ in Richtung eines „Zuviel“? Aus meinen Erfahrungen in der Seelsorge ist mir bewusst geworden, dass das Wort vom „Mehr“ anders ankommen und verstanden werden kann. Durch die Seelsorge hast du also einen neuen Blick auf die Schattenseite des „magis“ gewonnen. Was sind Deine Erfahrungen? Das Wort „mehr“ wird oft mit mehr Effizienz und Leistung verbunden: immer besser, immer schneller, immer weiter. Hier begegne ich den Symptomen und Auswirkungen einer Leistungsgesellschaft. Die Menschen brauchen in Exerzitienkursen auffallend mehr Zeit bis eine körperliche und seelische Erholung eintritt. Erst wenn diese Grundlage geschaffen ist, kann der geistliche Weg gut beginnen. Kannst du ein Beispiel für das bisher Gesagte geben? Mir fällt ein Arzt ein, der eine super Stelle angeboten bekommen hatte: mehr Ansehen, mehr Gehalt, weitere Aufstiegsmöglichkeiten. Mit der Entscheidungsfrage für oder gegen dieses Angebot ist er in die Exerzitien gekommen. Im Prozess kam für ihn überraschend Unruhe auf mit Blick auf die Annahme dieses Karrieresprungs. Trost und Zufriedenheit stellten sich ein beim Gedanken an einen Verzicht auf dieses „Mehr“. Die innere Resonanz hatte etwas anderes angezeigt, als eine erste Selbsteinschätzung und äußere Erwartungen und Maßstäbe. Das Weniger beinhaltete für ihn hier ein Mehr. Mehr in Kontakt mit sich zu sein, hat also für den Arzt etwas geklärt. Könnte das „magis“ heute also heißen, zunächst mal mehr bei sich selbst anzukommen? Ja, genau! „Magis“ bedeutet, das mehr wahrzunehmen, was zu mir gehört, was mich ausmacht. Es geht darum, meinen (!) Platz im Leben zu finden. Kann es sein, dass das jesuitische Leitmotiv „Alles zur größeren Ehre Gottes“ zu Missverständnissen führt im Sinne von „Streng Dich an!“, „Du musst mehr leisten und Dich mühen“? 12 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2016

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