Jesuiten 2016-4

Zivilisation der Genügsamkeit im Sinne von Laudato Si´ Wie würde eine Gesellschaft aussehen, die nicht von einem „Immer mehr“ (für einige wenige), sondern von einem „Genug“ (für alle) geprägt wäre? In der Befreiungstheologie hat sich der Begriff „Zivilisation geteilter Genügsamkeit“ herausgebildet. Gemeint ist im Kern die Idee einer Gesellschaft, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen, jetzt und in späteren Generationen, zum Ziel hat, und die außerdem nicht auf Herrschaft, Akkumulation und Konsum ausgelegt ist, sondern auf Solidarität, Genügsamkeit und Kreativität. Solidarisch mit den Armen, genügsamer im Lebensstil, kreativ im Problemlösen, Recyclen, Gestalten von Beziehungen und Lebensräumen. Vielleicht brauchen wir das heute mehr denn je: Statt noch mehr Kritik ein anziehendes Alternativmodell. Eine Orientierung an einer Vision, ja einer Utopie motiviert schließlich viel mehr als ein permanent schlechtes Gewissen. Aber wie kann man dabei das „Abheben“, die unfruchtbare Träumerei verhindern? Und ist der Zug nicht ohnehin schon abgefahren? Die Struktur der sehr lesenswerten Sozial- und Umwelt-Enzyklika Laudato Si´ von Papst Franziskus zeigt, wie es gelingen kann, beide Straßengräben – Träumerei und Resignation – zu vermeiden: Es braucht sowohl eine ehrliche Betrachtung der ganzen Wirklichkeit, mit all ihrer Schönheit und ihren Schattenseiten, zu denen die globale öko-soziale Krise gehört; als auch eine Analyse der vielfältigen Ursachen dieser Krise. Auf dieser Basis kann dann eine positive Vision entwickelt werden. Diese Vision muss sich aber aus tiefen Wurzeln speisen, sonst zerfällt jedes noch so kluge Gedankengebäude. Eindrücklich weist der Papst auf, welche ungehobenen Schätze in der christlichen Tradition schlummern, die ein beherztes Engagement für die Umwelt begründen können. Und dass ein solches Engagement tiefer in den Glauben führt und uns als Christen neu glaubwürdig macht. Und schließlich: Eine Vision hat nicht die Aufgabe, bereits Details zu benennen und alle Probleme zu lösen. Es reicht, wenn sie uns in Bewegung setzt und unsere Kreativität beflügelt. Die Details werden sich nach und nach ergeben, die Mittel zum Ziel müssen per „trial and error“ ausprobiert werden. Es geht ja um nicht weniger, als darum, unsere Gesellschaft grundlegend umzugestalten – und zugleich wichtige Errungenschaften wie die medizinische Versorgung, Bildungsmöglichkeiten etc. zu erhalten oder gar auszubauen. Es ist ein offener Prozess oder, wie der Papst schreibt: „eine große und schöne Herausforderung“. Fabian Moos SJ 18 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2016 n GENUG

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