Jesuiten 2017-2

Alltag in Nazareth Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? (Mt 13,55) Jesus hat im Keller überwintert, seit Himmelfahrt steht er paradoxerweise wieder in unserem Hinterhof. Mein Nazareth, die Küche eines Hotels mit vier Sternen und 500 Betten hat wenig mit kontemplativer Idylle zu tun. Aber es lädt mich ein, mitten im Alltag Gottes verborgenes Lächeln zu entdecken. Meine Kollegen haben keine Ahnung, dass ihre Spülkraft, die sie Frau A. nennen, am anderen Ende der Stadt Dorothea gerufen wird und eine Kleine Schwester Jesu ist. Irgendwie hat sich diese Frage einfach noch nicht gestellt. Vielleicht genauso wenig, wie sich hier im Osten von Deutschland die Frage nach Gott stellt. Nicht mein Kreuz wirft Fragen auf sondern mein ausgeprägt süddeutscher Dialekt: „Wo kommen Sie eigentlich her? Ach, aus dem Westen…?!“ „Aber warum dann ausgerechnet Halle…?“ Seltsamerweise wurde mir die Antwort bisher immer abgenommen. Die Schönste ist vielleicht: „Na, vermutlich die Liebe, hab ich recht?“ Wenn sich unser sonst seriöses Hotel an bestimmten Wochenenden zur Partymeile verwandelt, bleibe ich fragend, beobachtend am Rand. Viel zu viel ahne ich von der verborgenen Not, die die Menschen antreibt, ihren sonst grauen Alltag wenigstens für ein Wochenende im Alkoholrausch „all inclusive“ zu vergessen. Trotzdem gibt es etwas, das mich nicht nur erheitert, sondern bis ins Tiefste froh macht: Die Christus-Statue, das Wahrzeichen von Rio, steht neben Palmen und Planschbecken mitten in unserer Dekoration. Eine billige Sperrholznachbildung, die den Winter im Keller verbracht hat, aber es ist eindeutig Jesus. Immer dann, wenn ich mit meinen Abfallcontainern an ihm vorbeirolle, weiß ich: Egal, wie absurd, ja gottlos dieser Ort ist bzw. in solchen Momenten für mein Empfinden sein mag – Er setzt sich diesem Wahnsinn aus, vielleicht ohne dass das auch nur einem einzigen Gast bewusst ist. Und wenn die Arbeit so heftig wird, dass ich eigentlich nur noch weinen möchte, dann mag ich daran glauben, dass durch meine kleine, versteckte Präsenz auch die Gegenwart Gottes ein ganz, ganz kleines bisschen lebendiger wird und dass dieser Ort und seine Menschen in genau diesem Moment eben doch nicht gottlos sind, sondern in seinem ganzen Wahnsinn gehalten und geliebt. Einer muss glauben, dass „mitten unter euch der steht, den ihr nicht kennt“. All das geht mir durch Kopf und Herz, wenn ich jetzt neu damit beschäftigt bin, Bewerbungen zu schreiben. Anpacken, ohne viele Worte zu machen, unauffällig am Rand, aber ganz präsent, hörend auf die Zeichen meiner Zeit. Josef, Zimmermann aus Nazareth: Vorbild und Wegbegleiter meiner Sehnsucht, als Kontemplative mitten in der Welt zu leben. Sr. Dorothea Allgäuer 18 SCHWERPUNKT JESUITEN n JUNI 2017 n JOSEF

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