Jesuiten 2017-3

Bei sich sein Von wegen „bei sich sein“: Die Exerzitien fördern Exzentriker. Aber nicht im Sinne inszenierter Verhaltensauffälligkeit und gewollter Originalität, sondern im Wortsinn: Die Exerzitien leiten dazu an, außer sich zu sein, ja, geradezu vermessen die Welt mit dem Blick Gottes anzuschauen. Der Jesuit soll also alles andere als „bei sich“ sein. Und doch erlebe ich in meinem Bemühen um eine Verständigung zwischen Christen und Muslimen, wie wichtig es ist, sich auf sich selbst zu besinnen und bei sich zu bleiben, und dies in zweifacher Hinsicht. Da ist erstens die Empörung, die so viele Diskussionen prägt. Die Empörung ist außer sich, beim skandalösen Geschehen und bei den Bildern, die nicht aus dem Kopf gehen – deren Verursacher oftmals genau diese Empörung mit eingeplant haben. Nicht, dass einer gefühllosen Abgeklärtheit das Wort geredet werden soll. Empörung kann auch ein Ausdruck des Mitgefühls sein. Sie kann emotionalen Druck aufbauen und zur Durchsetzung konkreter politischer Ziele helfen: Der tunesische Diktator Ben Ali wäre ohne die Empörung über die verzweifelte Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi nicht gestürzt worden. Doch Stéphane Hessels Plädoyer „Empört Euch!“ ist zumindest zweischneidig: Denn Empörung will keine Diskussion, sondern Zustimmung. Sie will keine andere Sicht auf die Dinge, sondern Berücksichtigung der eigenen. Sie will Einigkeit – oder eben Gegnerschaft. Empörung kann polarisieren in „Wir“ und „die Anderen“ – wobei der, der sich empört, immer auf der richtigen Seite steht. Hier hilft es, aus dem „Außer-sich“ der Empörung zu sich zurückzukehren, sich abzuwenden von den skandalisierenden Bildern, den dauererregten und doch so hilflosen Nachrichten und nach seinem eigenen Standpunkt zu fragen. Bei sich zu bleiben braucht eine gewisse Askese – nicht des Nachdenkens und der Information, aber der dauernden Aktualität und des steten Dabeiseins. Zweitens heißt bei sich zu sein, sein Verhalten nicht grundsätzlich durch das reale oder imaginierte Verhalten des Anderen bestimmen zu lassen. Die Forderung nach Wechselseitigkeit hat einen guten Ort im politischen Handeln. So hat Christian Wulff zu Recht seinen Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ durch den Satz erSCHWERPUNKT 10 JESUITEN n SEPTEMBER 2017 n POLARISIERT Christ zu sein heißt, bei sich zu bleiben, indem man beim Anderen ist.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==