Jesuiten 2017-3

Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen Streiten können als christliche Tugend „Streitet miteinander so, wie ich mit euch gestritten habe.“ Das hat Jesus nicht gesagt. Aber streiten konnte er und trägt Streit und Zwietracht sogar in die Familien hinein. Er wird zornig, als er sieht, dass man aus dem Jerusalemer Tempel ein Shopping-Center und Bankinstitut gemacht hat, in dem sich alles nur ums Geld dreht. Voller Wut wirft er die Marktstände und Tische um und jagt die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Jesus, wie ihn die Evangelien beschreiben, war nicht nur ein friedlicher Mensch. Von ihm lässt sich viel darüber lernen, wie man miteinander konstruktiv streiten kann. Denn Christ-Sein heißt nicht, zu allen Menschen lieb und freundlich zu sein! Jesus hat bei einem Streit die schwierigen und heiklen Punkte klar und deutlich angesprochen. Er konnte meisterhaft andere konfrontieren. Dabei hat er nicht auf das Amt oder die Funktion eines Gegners geschaut, sondern sich auf die Sache bezogen, um die es ihm ging. In Auseinandersetzungen erkannte er die Fallen, die seine Gegner ihm stellten. Jesus beendete Streitgespräche, die nicht auf Klärung, sondern Kompromittierung zielten. Beginnend etwa mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde in der Kirche das einfühlsame und wertungsabstinente Zuhören als Königsweg der Seelsorge neu entdeckt. Von Jesus können wir lernen, dass empathisches Zuhören allein nicht ausreicht und Einfühlsamkeit nicht auf Kosten der Klarheit gehen darf. Auf der anderen Seite ist eine Konfrontation nur dann konstruktiv, wenn die Chance besteht, dass der andere sie auch annehmen kann. Jesus war authentisch. Ein authentischer Mensch versteckt sich nicht hinter Floskeln und Masken. Er ist in der Lage, seine Gefühle und Absichten zu klären und zu entscheiden, was davon er zeigen und sagen will. Dann kann er sich selektiv und authentisch „offenbaren“. Umgekehrt kann der andere aufgrund dessen sicher sein, dass kein zu großer Unterschied besteht zwischen dem, wie ein Mensch sich ihm zeigt, und dem, was tatsächlich in ihm vorgeht. Und ein Letztes: Auf wie vielen Schauplätzen kann man zugleich streiten? Jesus ging sorgfältig mit seinen Kräften um und wusste klug zu entscheiden, wofür er sie aufwandte und wofür nicht. Damit allerdings kommt man nie an ein Ende. Auseinandersetzung und Streit gehören lebenslang zum Leben, ob man will oder nicht. Hermann Kügler SJ 13 JESUITEN n SEPTEMBER 2017 n POLARISIERT

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