Jesuiten 2017-3

Gräben überbrücken „Welches Kleid wird sie wohl tragen?“ Keine Frage hörte ich öfters im Vorfeld des von mir initiierten Fachgesprächs zum Thema „Steuergerechtigkeit & Armut“ zwischen Sahra Wagenknecht und Erzbischof Ludwig Schick im CPH Nürnberg. Die Veranstaltung war ohne Bewerbung ruckzuck ausgebucht und der Große Saal mit 280 Leuten aus allen Schichten und unterschiedlichsten weltanschaulichen Hintergründen brechend voll. Zu meiner politischen „Advocacy“ (Anwaltschafts-)Arbeit gehört seit jeher, dass ich versuche, mit verschiedensten Gruppen ins Gespräch zu kommen. Dabei ist es meine Erfahrung, dass es gewöhnlich schwer ist, positiv über „Gerechtigkeit“ zu diskutieren, denn darunter versteht ein Arbeitgeber etwas anderes als ein Gewerkschafter, ein Millionär etwas anderes als die alleinerziehende Mutter. Umgekehrt ist es oft verblüffend einfach, sich mit Menschen verschiedenster Herkunft auf vorhandene „Ungerechtigkeit“ einigen zu können. Ist aber dies erst mal geschehen, kann man auch leichter Mehrheiten für erforderliche Verbesserungen finden. Mit meinen Forschungsergebnissen zum Thema „Steuergerechtigkeit & Armut“ habe ich nach 35 Jahren Arbeit in diesem Feld erstmals das Problem, dass ein solcher übergreifender Dialog nicht möglich ist. Während SPD, Grüne, LINKE und ÖDP an einem Austausch interessiert sind, weichen AfD, FDP, CDU und CSU dem Thema aus – Vertreter letzterer sogar mit dem Hinweis, dass in Deutschland keine „richtige Armut“ existiert und die Steuerquellen ohnehin sprudeln. Wozu dann am Thema Vermögensungleichheit rütteln? Dass der Anstieg von Wahlmüdigkeit, Populismus und Sündenbockdenken und daraus erwachsende Demokratie- und Mitbestimmungsdefizite ebenso Symptome für die bestehende Ungleichheit in Deutschland sein könnten, wie die weltweit anschwellende Migration in Richtung Europa ein Symptom für globale Ungleichheit ist, wird entweder nicht gesehen oder geleugnet. Wenn aber nun kein konstruktives Gespräch möglich ist, bleibt als Option die Provokation. Etwa jene, dass ein katholischer Erzbischof und eine sozialistische Politikerin sich bei einem solchen, im Ton respektvollen und nachdenklichen Fachgespräch in vielen Punkten einig sind und Gruppen und Parteien auffordern, drängende Probleme nicht zu verdrängen, sondern sie den Bürgern zu erläutern und sich der Suche nach dauerhaften Lösungen zu stellen. Dabei gab es keinesfalls nur „Konsenssoße“, sondern die unterschiedlichen Hintergründe wurden deutlich: Hier die Katholische Soziallehre mit der Spannung zwischen Person und Gemeinwohl, dort das Vertrauen auf starke staatliche Institutionen und Regulierung. Dazwischen Übereinstimmung bei 18 SCHWERPUNKT JESUITEN n SEPTEMBER 2017 n POLARISIERT

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