Jesuiten 2017-3

EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Polarisierungen scheinen zuzunehmen – weltweit, in Europa, aber auch innerhalb vieler Länder. Die Anzeichen sind unschwer zu erkennen: Entgegengesetzte Sichtweisen prallen aufeinander, Emotionen kochen hoch, Debatten werden hitzig, nicht selten hört man Ideologievorwürfe von beiden Seiten. Schnell ist man an einem Punkt, an dem man scheinbar nur noch die beiden extremen Pole und den trennenden Graben dazwischen sehen kann. Wer mit der Situation unzufrieden ist, scheint lediglich die Wahl zu haben, das Unvereinbare künstlich zu harmonisieren („Wollen wir letztlich nicht alle das Gleiche?“) oder auf den eigenen Standpunkt ängstlich zu verzichten. Die Grundthese in dieser Ausgabe der JESUITEN ist eine andere: Wir glauben, dass polarisierte Situationen zum Leben gehören und grundsätzlich fruchtbar gemacht werden können. Sie können uns lehren, die Wirklichkeit auf neue und tiefere Weise wahrzunehmen, auch wenn solche Prozesse oft schmerzhaft sind; und sie haben auch das Potenzial, inhaltlich voranzubringen. Deshalb liegt der Schwerpunkt im ersten Teil auf dem Sehen: Wir haben die Autoren gefragt, wo sie Polarisierungen wahrnehmen und welche Fragen sich ihnen von dieser Wahrnehmung her stellen. Im zweiten Teil geht es um spirituelle Grundhaltungen, die helfen können, Spannungen und Polarisierungen anzunehmen und fruchtbar zu machen. Gerade die ignatianische Spiritualität lebt von einer Dynamik, die sich aus Spannungsfeldern ergibt. Die Bildmotive greifen diesen Gedanken auf: Die von Berliner Künstlern unter dem Namen jock+scott veröffentlichten Fotos entstanden durch die Technik der Doppelbelichtung, bei der zwei Fotografien übereinander gelegt werden. So konstruieren bekannte Formen überraschende visuelle Zusammenhänge. Gegensätze kommen zusammen – und bilden Neues. Es ist, als lägen in ein und demselben Bild mehrere Blickwinkel vor. Und im Blick auf diese Multiperspektivität wird einem plötzlich bewusst, dass man selbst eine Perspektive hat, aus der man nur bedingt heraustreten kann – so dass sich mindestens zwei Fragen stellen: Was zeigt das Bild eigentlich? Und wo stehe ich selbst? Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne eine anregende Lektüre! Stefan Hofmann SJ Fabian Moos SJ Patrick Zoll SJ 1 JESUITEN n SEPTEMBER 2017 n POLARISIERT

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