Jesuiten 2017-4

8 SCHWERPUNKT JESUITEN n DEZEMBER 2017 n ANBETUNG Verbundenheit Mit einem Freund hatten wir früher öfters das große Kartäuserkloster in den französischen Alpen besucht. Nun hatte er zwei Kinder, die ihn gehörig auf Trab hielten. Mit Ringen unter den Augen seufzte er: „Früher hab ich die Mönche bestaunt, weil sie jede Nacht beten. Heute beneide ich sie! Sie wissen wenigstens, wann und wie oft sie nachts immer raus müssen.“ Oft denken wir an diesen Satz. Auch unsere Kinder fordern uns. Wenn sie dann nachts noch Bauchweh oder einen schlimmen Traum haben, sind wir schnell am Limit. Zeit für Stille, Muße für Anbetung? Gleichzeitig verdanken wir unseren Kindern viele beglückende Erfahrungen: Bei einem Waldspaziergang begann unsere Älteste im Kinderwagen zu jauchzen und verzückt mit den Ärmchen zu rudern. Erst nach einer Weile verstanden wir warum: Aus ihrem Blickwinkel sahen wir, wie der Wind die Blätter bewegte und das Licht tanzen ließ. Ein staunenswertes Schauspiel, ein Wunder! Was für ein Geschenk, die Welt gemeinsam mit den Kindern mit frischen Augen entdecken zu dürfen. Die Unbefangenheit der Kinder zeigt sich im Schönen, aber auch im Schweren: unvergesslich, wie sich unsere Dritte, damals siebenjährig, in das Sterbezimmer ihrer Großmutter schlich, um der aufgebahrten Oma nochmals mit der Flöte vorzuspielen. Oder die Tränen, die unsere Zweite vergoss, als alle Mäusebabies gestorben waren, die beim Umstechen des Komposts auf die Wiese gepurzelt waren. Den unendlichen Wert einer flüchtigen Begebenheit erfassen und sich der Erfahrung eines Augenblicks ganz hingeben: Kinder können das. Ist das nicht Anbetung? Jesus redet von Gott oft als Vater oder Mutter. Seit wir Eltern sind, erschließt sich uns dieses Bild neu: Es berührt uns, zu erleben, wie unsere Kinder heranreifen. Wir sorgen uns, wenn es ihnen nicht gut geht. Wir freuen uns, wenn sie glücklich sind. Wir lieben sie – ohne Bedingung, auch wenn sie uns oft an unsere Grenzen führen. Diese Erfahrungen sind uns wertvoll. Wir lesen sie auch als Gleichnis für Gottes Liebe zu uns. Freilich: Die Widerfahrnisse des Alltags erschließen sich meist nicht sofort als Gotteserfahrungen. Deshalb braucht es Zeiten, die dafür reserviert sind, das Erlebte unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Jeden Abend bringen wir gemeinsam mit den Kindern den Tag vor Gott. Was war heute nicht schön? – Lieber Gott, ich lass es bei Dir, bieg Du es gerade. Die Welt gemeinsam mit den Kindern mit frischen Augen entdecken

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