Jesuiten 2018-1

Gesundheit – die neue Religion Viele Menschen glauben heute nicht mehr an den lieben Gott, sondern an die Gesundheit, und alles, was man früher für den lieben Gott tat: Wallfahren, Fasten, gute Werke verrichten, das tut man heute für die Gesundheit. Es gibt Menschen, die leben nur noch vorbeugend und sterben dann gesund, aber auch wer gesund stirbt, ist leider definitiv tot. Es zeigen sich immanente Eschatologien: Das ewige Leben und die ewige Glückseligkeit erwartet man nicht mehr in irgendeinem Jenseits, sondern hier und jetzt: Apokalypse now! Für das ewige Leben quantitativ ist die Medizin zuständig – bei Nichterfüllung Klage, versteht sich. Und für die Ewige Glückseligkeit gibt es die Psychotherapie. Die Sehnsucht nach diesen „Letzten Dingen“ ist ungebrochen und die alte „katholische“ Werkgerechtigkeit feiert hier fröhliche Urstände: Man muss was tun für die Gesundheit, von nichts kommt nichts, wer stirbt, ist selber schuld. Und so rennen die Leute durch die Wälder, essen Körner und Schrecklicheres – und sterben dann doch. Inzwischen hat die Gesundheitsreligion sogar die christlichen Kirchen erreicht. Da gibt es „Heilfasten in der Fastenzeit“, der Pfarrer ist auch noch ganz stolz, die Quote stimmt, die Leute strömen in Massen. In Wirklichkeit ist das aber etwas ganz Anderes: Früher fastete man, um zu verzichten und dadurch vielleicht irgendwann in den Himmel zu kommen. Heute fastet man, um möglichst spät und möglichst gesund in den Himmel zu kommen, was natürlich ein völlig anderer Ansatz ist. Und auch der Ausdruck „Sünde“ hat sein Bedeutungsfeld verlagert. In der Kirche kommt er so gut wie nicht mehr vor, aber im Ernährungsbereich ist er allgegenwärtig, vor allem nach dem Konsum von Sahnetorte: Da habe ich mal wieder ein bisschen gesündigt, kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Der Todfeind dieser allgegenwärtigen Gesundheitsreligion ist der Tod, und so tut man buchstäblich alles, um den Tod hinauszuschieben oder vielleicht sogar ganz zu vermeiden: Diätbewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen über Land, in ihrem Ernst die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei weitem übertreffend. Jede noch so absurde Ernährungsidee wird mit religiöser Ergrif12 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2018 n KÖRPER In ihrem Ernst übertreffen Diätbewegungen die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei weitem. © suschaa/photocase.com

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