Jesuiten 2018-1

© suschaa/photocase.com An körperliche Grenzen gehen Wir leben scheinbar immer „körperloser“. In den wenigsten Berufen ist Muskelkraft noch wichtig, selbst Soldaten bedienen meist elektronische Maschinen. Für unsere Arbeit ist es oft egal, wo wir uns gerade körperlich befinden, wir können vieles vom Bildschirm her erledigen. Im Internet kommunizieren wir oft, ohne dass wir körperlich sichtbar sind für unser Gegenüber, unsere Körpersprache verliert an Bedeutung, wir überlassen das Übertragen des Sinnes den Bits und Bytes. Wir spüren unseren Körper immer weniger. Wie eine Revolte gegen diese Entkörperlichung unserer Existenz suchen immer mehr Menschen nach intensiven körperlichen Erfahrungen. Sie betreiben extreme Sportarten, sie gehen an körperliche Grenzen, um den fast verlorenen Körper wieder zu entdecken. Vielleicht sogar noch mehr: um das fast verlorene Selbst wieder zu spüren. Denn wir sind weder körperlose Engel noch Computerprogramme, wir sind Lebewesen aus Fleisch und Blut. Aus Staub sind wir gemacht, sagt die Bibel. Wenn wir das nicht mehr spüren, dann verlieren wir uns selbst aus dem Blick. Mehr als 10 Millionen Menschen rackern sich in Deutschlands Fitness-Studios ab: Sie schnaufen und stöhnen, sie schwitzen und ziehen Grimassen. Und wer das von außen unbeteiligt anschaut, der kann eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Verstehen kann man es nur, wenn man es am eigenen Leib erfährt. Der eigene Körper ist, weil man ihn durchspürt, ein Leib. Und wenn der Geist den Leib voll durchdringt, zum Beispiel in der mentalen Anstrengung, die schon beim Heben eines schweren Gewichtes nötig ist oder erst recht dem Vollenden einer schweren Turnfigur, dann tritt eine Einheit von Materie und Geist auf, die wirklich Glück empfinden lässt. Vergangenheit und Zukunft spielen keine Rolle mehr. Nur die Empfindung des Augenblicks zählt. Es entsteht ein Körpergefühl, eine Leiberfahrung von solcher Intensität, dass die Gedanken zum Stillstand kommen. Das kennt auch die Marathonläuferin oder der Bergsteiger: sich im Rhythmus des Atmens bewegen, von einem inneren Drang nach Selbstüberbietung angetrieben sein, den Willen als „Turbolader“ mobilisieren, wenn es schwierig wird und so immer mehr in eine tiefe innere Ruhe und Gelassenheit eintauchen; die Kupplung treten, um die Maschinerie der Gedanken in den Leerlauf zu schalten. Die geistlichen Yoga Sutren des Patanjali beginnen mit dem Satz: „Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedankenwellen im Geiste.“ Wenn wir unseren Körper in der äußersten Anstrengung und Disziplin geistig durchformen, dann kommen die Wellen der Gedanken zum Stillstand. In strenger körperlicher Disziplin meditierende Mönche vollziehen ähnliches: Funkstille ihrer Gedanken ist zugleich Empfangsbereitschaft für Gott. So können wir den Staub, aus dem wir erschaffen wurden, immer mehr zu „Geiststaub“ wandeln, zu einem „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19). Godehard Brüntrup SJ 7 JESUITEN n MÄRZ 2018 n KÖRPER SCHWERPUNKT

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