Jesuiten 2018-2

5 JESUITEN n JUNI 2018 n IDENTITÄT Fußball und kollektive Identität Sonntag, 14. Juli 2014, 23:23 Uhr: Mario Götze nimmt die Flanke von André Schürrle mit der Brust an und überwindet mit einem unnachahmlichen Seitfallzieher den argentinischen Schlussmann Romero. Ganz Deutschland explodiert, liegt sich in den Armen, ist in Ekstase. Götze hat uns zum Sieg geschossen! Wir sind Weltmeister! Wir haben es tatsächlich zum vierten Mal geschafft! Wer weiß nicht, wo und mit wem er diesen Moment verbracht hat? Doch worin liegt diese kollektive Identität, dieses „Wir-Gefühl“ begründet, welches uns unter Fußballfans begegnet? Der Fußball bietet den Fans ein niederschwelliges Angebot dessen, was in der Gesellschaft gesucht, aber oftmals nicht gefunden wird: die Möglichkeit der totalen Identifikation mit einer Sache, die Gelegenheit, seinen Emotionen – positiv wie negativ – gemeinsam in der Fankurve oder vor dem Fernseher freien Lauf zu lassen, eine Gemeinschaft, die auch den Fußball hinaus verbindet, für die der Fan sich nicht rechtfertigen muss. Der allsamstägliche Gang zum Stadion oder in die Fußballkneipe strukturieren die Woche und können dem Leben Orientierung bieten. Gefahren lauern dort, wo die kollektive Identität des Fan-Seins zum Fanatismus wird, sei es durch ein übersteigertes „Wir-Gefühl“ oder eine falsch verstandene Verbrüderung. Wenn jemandem, der außerhalb meiner Identitätsgruppe steht, feindselig und gewalttätig begegnet wird, wenn jemand sein Leben ausschließlich dem Fußball widmet und darüber seine Mitmenschen aus dem Blick verliert. Dennoch: Der Fußball ist ein wertvol- les gesellschaftliches Gut, da er eine Möglichkeit zu einer positiven Identifikation bietet, die Grenzen überwindet und Gemeinschaft stiftet. Vincent Jünger

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