Jesuiten 2019-1

5 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER halt ließ viele Argumentationen zu. So zog sich die Arbeit über mehr als zwei Monate hin. Kurz vor der Abgabe wurde ich durch ein Gespräch mit Kommilitonen verunsichert. Ich sagte zu mir: „Meine Arbeit taugt nichts und ich muss alles komplett überarbeiten.“ Es ging mir schlecht. Obwohl ich über viele Wochen intensiv an der Arbeit gesessen hatte, sagte etwas in mir: „Sie ist nicht gut – wenn ich durchfalle, gebe ich mein ganzes Studium auf.“ Dieser Gedanke kam, obwohl ich bereits vier Semester erfolgreich absolviert hatte. Es war ein „Dämon“, der mir einreden wollte, dass ich es nicht schaffe. Ein Freund bot an, meine Arbeit noch einmal zu lesen. Schlussendlich befand er die Arbeit für gut und hielt mich zur Abgabe an. Der „Dämon“ war enttarnt. Ich gab die Arbeit ab und Erleichterung trat ein. „Ich sehe Menschen!“ Im Abuna-FransHaus leben mein Mitbruder Lutz Müller und ich seit Mai 2017 mit acht Flüchtlingen zusam- men. Unser Patron Frans van der Lugt sagte immer wieder: „Ich sehe keine Muslime und keine Christen. Ich sehe Menschen!“ Sein Bild mit diesem Spruch hängt bei uns in der Küche. Und wir versuchen die Gräben zwischen Arabern, Afrikanern und Deutschen trotz vieler „aber“ zu überwinden. Unser herzkranker alter Mitbewohner soll in den Libanon abgeschoben werden, obwohl er sich dort die lebenswichtigen Medikamente nicht dauerhaft leisten kann. Trotzdem hat er beim BAMF angegeben, damals im Libanon am Herzen operiert worden zu sein. Nun wird argumentiert: „Wenn Sie dort operiert wurden, werden Sie dort auch eine Behandlung bekommen!“ Damals hatte er als Unternehmer Geld, jetzt mit fast 70 Jahren wird er keine Arbeit und Krankenversicherung mehr bekommen. Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Seine Ehrlichkeit gegen den Abergeist des Opportunismus dagegen steht fest. Der Asylstatus aller Flüchtlinge wird nach drei Jahren erneut überprüft. In unserem Haus haben nur zwei das Glück, drei Jahre Aufenthalt bekommen zu haben. Alle anderen wissen nicht, ob sie morgen noch hier sind. Aber trotz der behördlich gewollten Unsicherheit und ohne gesicherte Zukunftsperspektive, versuchen sie sich zu integrieren. Ludger Hillebrand SJ

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