Jesuiten 2019-1

Abergeister 2019/1 ISSN 1613-3889 Jesuiten

Titelbild und alle Gemälde bis Seite 23: © Isa Dahl, Wanderung, Öl auf Leinwand „Abergeister“ – allein durch seine Klangfarben lockt dieser Begriff und warnt zugleich. Schon fallen einem sprachliche Wahlverwandschaften ein: Aberglaube, Abtrünnigkeiten, Abgründe. All das hat mit Verborgenem, mit Unsichtbarem zu tun. Die Magie aller verborgenen Dinge ist es, dass sie doch irgendwie da sind und Präsenz einfordern. Mit diesem Phänomen spielen die Gemälde von Isa Dahl. In den mitunter großformatigen Werken überlagern sich Farbschichten zu groß angelegten Wellenformationen, Strukturen verdecken sich gegenseitig und lassen Zwischenräume entstehen. Ein Spiel von Ebenen, die scheinbar konkurrieren, sich auslöschen wollen – und doch nicht ohne einander können. Geister, Dämonen, Abergeister – wir würden sie uns gerne wegwünschen, und können doch nicht ohne sie. Die Künstlerin Isa Dahl lebt und arbeitet in Stuttgart. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und sind über die Galerie Cyprian Brenner zugänglich. Stefan Weigand Ausgabe März/2019 Jesuiten 1 Editorial Schwerpunkt 2 Abergeister im Job 4 Abergeister im Alltag 6 Der Schmeichler 8 Spitze Steinchen in den Seelenschuhen 11 Der verborgene Antreiber – geistlicher Kampf in der ägyptischen Wüste 12 Die Dinge beim falschen Namen nennen 14 Besessen oder psychisch krank? 16 Ja, aber – Nein! 18 Geduld mit den Verhältnissen und Ungeduld mit Menschen 20 Alles vermag ich in dem, der mich stärkt Geistlicher Impuls 22 Dankbarkeit üben Nachrichten 24 Neues aus dem Jesuitenorden Personalien 28 Jubilare 28 Verstorbene Buch 29 DURCHKREUZT – Mein Leben mit der Diagnose Krebs. Vorgestellt 30 Hochschule für Philosophie in München 33 Die besondere Bitte 34 Autoren dieser Ausgabe 37 Standorte der Jesuiten in Deutschland

EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Dieses Heft ist uns ja ganz gut gelungen. ABER wir hätten vieles noch besser machen können.“ Da ist er bereits zu Beginn unseres Heftes: ein „ABERgeist“ im wahrsten Sinne des Wortes. Anstatt uns in unserer Freude zu lassen, dass uns als Redaktion etwas gut gelungen ist, flüstert uns etwas oder jemand ein, dass wir es (natürlich) noch hätten besser machen können – und stellt damit alles, was gut ist, in Frage. Hört man zu oft auf einen solchen Abergeist, wird man depressiv, verliert die Lust sich für etwas zu mühen, weil es immer etwas gibt, was man noch besser hätte machen können. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, warum „Abergeister“ eine deutsche Übersetzung von „Dämonen“ aus dem Neuen Testament ist (der Theologie Fridolin Stier hat den Ausdruck so übersetzt). Diese Stimmen, die ohne Zweifel oft aus uns selbst kommen, haben eine dämonische Kraft, führen uns in Versuchung, suchen unsere Schwäche. In der christlichen Tradition gibt es seit frühester Zeit auch eine Weise des Umgehens mit diesen inneren Stimmen, die uns weg von Gott und vom Leben locken wollen. In der ignatianischen Tradition nennen wir das auch „Unterscheidung der Geister“. Kein Zweifel – Abergeister gehören zu unserem Leben. Sie auszutreiben, ist schwierig. Einfacher ist es, mit ihnen umgehen zu lernen und sie auf diese Weise zu entzaubern. In diesem Heft wollen wir den vielfältigen Spuren der Abergeister, und wie wir mit ihnen leben können, nachgehen. Wir treffen sie in verschiedenen Arbeitskontexten und Lebenssituationen. In der Bibel wie im Koran, in der ägyptischen Wüste wie auch im Kontext von Psychiatrie kommen sie vor. Sie begegnen Menschen unterschiedlich in verschiedenen Lebensphasen, zeigen sich in der Jugend anders als in der „Mid-Life-Crisis“ oder im Alter. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und guten (Widerstands-)Geist gegen Ihre ABERgeister. Christian Braunigger Sebastian Maly Claus Recktenwald 1 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

Abergeister im Job Zwischen Hoffnung und Illusion Ein junger Mann aus dem Iran hat panische Angst vor der Abschiebung. In seinem Heimatland hat er am eigenen Leib Verfolgung erfahren. Trotzdem hält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Rückkehr für zumutbar. Beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst habe ich oft mit Menschen zu tun, die trotz ihres schweren Schicksals kaum Chancen haben, hier Asyl zu erhalten. Und doch gibt es immer wieder Geflüchtete, die wider Erwarten bleiben können, weil das Gericht anders entscheidet, weil ein Kirchenasyl eine erneute Prüfung erwirkt, weil es organisatorische Schwierigkeiten bei der Abschiebung gibt etc. Ich frage mich oft, was ich Schutzsuchenden in verzweifelten Situationen, wie dem Herrn aus dem Iran, sagen soll. Mache ich ihnen Hoffnung, dass sich noch eine Lösung finden wird? Oder erkläre ich ihnen, dass sie hier keine Perspektive haben? Kurz: Soll ich Hoffnungsfunken stärken oder muss ich Illusionen entgegentreten? Anders betrachtet: Bin ich selbst versucht, der harten Realität nicht ins Auge schauen zu wollen? Oder bin ich angefragt, dem Abergeist eines zu pessimistischen Blickes die Stirn zu bieten? In diesem Unterscheidungsprozess ist es mir wichtig, auf den einzelnen Menschen und seine Überlebensstrategien zu hören. Abergeister als Zeitgeist getarnt In über 48 Berufsjahren sind mir verschiedene Abergeister begegnet, manche waren harmlos, an- dere gefährlich. Immer tarnten sie sich als scheinbar rationale Argumente. Sie waren aber Mittel zur Erreichung persönlicher/kollektiver Ziele. Sie dienten dazu, um Aufmerksamkeit zu buhlen, um im Konkurrenzkampf zu punkten, um Ideen von Kollegen/innen madig zu machen, um alte Gewohnheiten beizubehalten, aber auch um so manche Profilneurose zu kurieren. Fatale Auswirkungen hatten diese Abergeister, wenn sie – als Zeitgeist getarnt – der gesunden Vernunft widersprachen, zum Beispiel in der Einstellung: Was nicht explizit verboten ist, ist erlaubt. So wird Regina Stallbaumer SA Kurt Abel 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

z.B. bei den Cum-Ex-Geschäften, die den Fiskus um Milliarden Euro schädigen, durch das Ausnutzen von Schlupflöchern in Gesetzen die dahinterstehende Absicht in ihr Gegenteil verkehrt. Abergeister sind Teil menschlicher Strategien. Sie brauchen allerdings einen Nährboden, auf dem sie sich wohlfühlen. Der Umfang ihres Auftretens hängt in erster Linie vom „Betriebsgeist“ ab. Er entscheidet maßgeblich darüber, inwieweit sie durch geduldete Handlungsweisen legitimiert oder animiert werden. Besonders gut können die Dämonen in einem „Dasmachen-alle-so-Biotop“ gedeihen. Die fünf Versuchungen des Journalismus 1. Nicht frei zu sein Wer sagen will, was ist, muss frei sein: frei vom Druck, eine Geschichte schneller liefern zu müssen, als sie gut sein kann; frei von einer Meinung, auf deren Bestätigung die Recherche allein aus ist; aber auch frei vom anmaßenden Glauben an einen Journalismus, der frei ist von Subjektivität. 2. Bequem zu sein Die Suche nach dem was ist, ist anstrengend. Eine gute Erzählung allein ist noch kein Journalismus. Nur wer doppelt Fakten prüft, Gegenpositionen einholt, Plausibilitäten checkt, widersteht der Versuchung. 3. Zu nah dran zu sein Die Nähe zu den Mächtigen ist kein Selbstzweck. Nur wer sie nutzt, um Neues und Relevantes zu erfahren, betreibt Journalismus. Wer zu nah dran ist, sieht nicht mehr das Ganze. Nähe ist nötig, darf aber nicht in Abhängigkeiten führen. 4. Zu weit weg zu sein Internet und soziale Netzwerke gaukeln oft eine Nähe zu Menschen und Ereignissen vor, die gar nicht existiert. Guter Journalismus entsteht erst vor Ort und in echter Begegnung. 5. Nicht neugierig zu sein Journalismus fängt mit Neugier an. Nur wer wirklich sucht, kann etwas finden. Wer im immer gleichen Saft von Themen und Thesen schmort, der langweilt mit der Zeit. Stefan Leifert 3 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

SCHWERPUNKT 4 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER Abergeister im Alltag Der Dämon des Alltagstrotts in der Ehe Seit fünf Jahren sind wir verheiratet und erleben die Ehe als etwas Herrliches! Doch erkennen wir die Gefahr des Dämons des Alltagstrotts. Im Alltäglichen der Ehe erleben wir es, dass der/die Partner/-in und das, was er/ sie tut zur Selbstverständlichkeit wird. Da wird Essen zubereitet, das Zimmer aufgeräumt, der Boden gewischt, der Eingangsbereich neu dekoriert, eine neue Frisur zugelegt, ein neues Kleidungsstück gekauft, … und: er/ sie merkt es nicht einmal, es ist Gewohnheit geworden, dass das gemacht wird. Die Aufmerksamkeit für die kleinen und wunderschönen Dinge des Alltags scheint allzu schnell verloren zu gehen. Darin liegt für uns etwas Dämonisches. An die Stelle der zärtlichen Dankbarkeit droht die Gewohnheit zu treten, anstatt des aufmerksamen Schenkens kleiner Schönheiten kann der Alltag dumpf und monoton erscheinen. Dumpfheit aber kann zur Gleichgültigkeit werden, zum Gegenteil von Liebe und Hingabe, welche ursprünglich aus einer bedingungslosen Sehnsucht des Herzens entsprungen waren. Das Herz richtet sich auf sich selbst. Und das hat etwas Dämonisches. Die Herausforderung besteht darin, täglich in der Wachsamkeit für den Anderen zu wachsen, die kleinen Schönheiten des Alltags zu suchen, zu genießen und zu feiern und so dem Dämon des Alltagstrotts den Kampf anzusagen. Ein Miesmacher im Studium Höre ich das Evan- gelium von Jesus, dem besessenen Mann und den Schweinen, so muss ich jedes Mal schmunzeln. Schon oft habe ich mir dabei die Frage gestellt, was so ein Dämon wohl ist. Sicher, man kennt die einschlägigen Kindermärchen, in denen von Flaschengeistern die Rede ist. Ob die Bibel davon spricht? Ich glaube es nicht. Im vergangenen Sommer sah ich mich selbst einem „Dämon“ ausgesetzt, als ich eine Hausarbeit schreiben musste. Es war nicht die erste Hausarbeit und ich dachte mir, dass ich es in wenigen Wochen packen würde – weit gefehlt. Der SachverJacqueline und Paul Metzlaff Gerhard Nee

5 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER halt ließ viele Argumentationen zu. So zog sich die Arbeit über mehr als zwei Monate hin. Kurz vor der Abgabe wurde ich durch ein Gespräch mit Kommilitonen verunsichert. Ich sagte zu mir: „Meine Arbeit taugt nichts und ich muss alles komplett überarbeiten.“ Es ging mir schlecht. Obwohl ich über viele Wochen intensiv an der Arbeit gesessen hatte, sagte etwas in mir: „Sie ist nicht gut – wenn ich durchfalle, gebe ich mein ganzes Studium auf.“ Dieser Gedanke kam, obwohl ich bereits vier Semester erfolgreich absolviert hatte. Es war ein „Dämon“, der mir einreden wollte, dass ich es nicht schaffe. Ein Freund bot an, meine Arbeit noch einmal zu lesen. Schlussendlich befand er die Arbeit für gut und hielt mich zur Abgabe an. Der „Dämon“ war enttarnt. Ich gab die Arbeit ab und Erleichterung trat ein. „Ich sehe Menschen!“ Im Abuna-FransHaus leben mein Mitbruder Lutz Müller und ich seit Mai 2017 mit acht Flüchtlingen zusam- men. Unser Patron Frans van der Lugt sagte immer wieder: „Ich sehe keine Muslime und keine Christen. Ich sehe Menschen!“ Sein Bild mit diesem Spruch hängt bei uns in der Küche. Und wir versuchen die Gräben zwischen Arabern, Afrikanern und Deutschen trotz vieler „aber“ zu überwinden. Unser herzkranker alter Mitbewohner soll in den Libanon abgeschoben werden, obwohl er sich dort die lebenswichtigen Medikamente nicht dauerhaft leisten kann. Trotzdem hat er beim BAMF angegeben, damals im Libanon am Herzen operiert worden zu sein. Nun wird argumentiert: „Wenn Sie dort operiert wurden, werden Sie dort auch eine Behandlung bekommen!“ Damals hatte er als Unternehmer Geld, jetzt mit fast 70 Jahren wird er keine Arbeit und Krankenversicherung mehr bekommen. Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Seine Ehrlichkeit gegen den Abergeist des Opportunismus dagegen steht fest. Der Asylstatus aller Flüchtlinge wird nach drei Jahren erneut überprüft. In unserem Haus haben nur zwei das Glück, drei Jahre Aufenthalt bekommen zu haben. Alle anderen wissen nicht, ob sie morgen noch hier sind. Aber trotz der behördlich gewollten Unsicherheit und ohne gesicherte Zukunftsperspektive, versuchen sie sich zu integrieren. Ludger Hillebrand SJ

6 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER Der Schmeichler „Wie blöd ist dieser Dämon?“ Diese Frage drängte sich mir beim Lesen der Textstelle im Evangelium auf, in der Jesus einem Mann begegnet, der von einem Dämon besessen ist. Der Dämon ruft: „Was haben wir mit Dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist Du gekommen, uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!“ (Mk 1,24). Dieser Dämon offenbart sich selbst und nennt Jesus den Heiligen Gottes. Dies erscheint absurd, denn ist die Eigenschaft eines Dämons nicht, dass er versucht unerkannt zu bleiben? Warum sollte ein Dämon Jesus öffentlich als den Heiligen Gottes anerkennen? Das Göttliche an Jesus wird durch den Dämon sogar betont. In menschlichen Kategorien gedacht ist dieser Dämon nicht blöd, sondern vielmehr listig. Der Dämon ist ein Schmeichler. Das öffentliche Wirken ist für Jesus kein Zuckerschlecken. Er stößt häufig auf Widerstände und wird von vielen Menschen abgelehnt. Da tut es Jesus sicherlich gut, wenn er von jemandem gelobt und in seiner Identität bestätigt wird. Sollte Jesus sich von einem solchen Dämon nicht lieber bestärken lassen? Richtig schlecht kann der Dämon ja gar nicht sein, schließlich ist er bereit, das Göttliche anzuerkennen. Es ist wichtig und tut gut, Anerkennung zu erfahren und unterstützende Worte gesagt zu bekommen, sowohl im Alltag als auch in schwierigen Situationen. Allerdings kommt es auch vor, dass ich den Eindruck habe, der Andere meint es nicht voll und ganz ernst mit mir. Vielleicht will er mir mit seiner Aussage schmeicheln, um mich um den Finger zu wickeln und letztlich für seine Zwecke zu benutzen. Ich versuche die Geister zu unterscheiden und wahrzunehmen, was gerade geschieht. Umgekehrt fordert die Bibelstelle mich in meinem Arbeiten heraus: Für die Studentengemeinde in Leipzig ist es essentiell, dass Studenten sich engagieren. Sonntags beim Mittagessen stehe ich manchmal im Interessenkonflikt: Einerseits will ich jeden als Person ernst nehmen und ins Gespräch kommen, andererseits suche ich Freiwillige für verschiedene Aktionen. Wann stehe ich in der Versuchung, anderen zu schmeicheln, damit sie Aufgaben übernehmen? Jesus lässt sich vom Dämon nicht einlullen; er nimmt die Herausforderung an, treibt den Dämon aus und ist sogar konsequent, als der Mann während der Heilung vom Dämon gequält wird. Sein Handeln kann uns Vorbild sein, uns von anderen nicht einlullen zu lassen, sondern der Situation angemessen zu reagieren. Christian Braunigger SJ

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Spitze Steinchen in den Seelenschuhen Kampfplatz Seele - auf einem Quadratmeter: Der Gebetsplatz des Ignatius von Loyola befindet sich direkt neben einem Loch im Boden seiner Zelle, das ihn in seiner Verzweiflung zum Suizid versucht: „Dabei hatte er nun viele Plagen mit Skrupeln auszustehen. Zwar war seine Generalbeichte … mit so viel Sorgfalt und sogar schriftlich … vorbereitet gewesen. Aber immer wieder glaubte er, einige Dinge nicht gebeichtet zu haben, und das bedrückte ihn sehr.“ So heißt es in seiner Autobiografie, im sogenannten Pilgerbericht (PB Nr. 22). Immer wieder geht er beichten, aber die Skrupel verlassen ihn über Monate hin nicht. Gibt es das denn heute noch? „Alle (!) machen Fehler! Ich nicht!“ Tragen die Abergeister von heute eher das Gewand von Unschuldswahn, fehlendem Sündenbewusstsein, ja von Skrupellosigkeit? Was sind Skrupel? Das lateinische Wort „scrupulus“ bedeutet „spitzes Steinchen“ – ein gutes Symbol für das stechende Gefühl der Angst und Unruhe aus übertriebener Genauigkeit heraus. Außerdem war ein Skrupel früher die kleinste Gewichtseinheit für Arzneimittel, ca. 1,25 Gramm. In der Seelsorge habe ich immer wieder Menschen getroffen, die sich Vorwürfe machten, dass sie im Rahmen der Krankheit, des Sterbens oder des Tods eines Angehörigen etwas falsch gemacht oder unterlassen hätten. Von außen war da kein Fehler zu erkennen, aber diese Menschen kamen von den quälenden Gedanken und Gefühlen nicht los: „Hätte ich doch …!“ „Hätte ich doch nicht …!“ Bedrückend – darin gefangen zu sein, etwas falsch gemacht, jemandem etwas vorenthalten zu haben, nicht noch sorgfältiger vorgegangen zu sein … 8 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

Perfektionisten, wie auch der Heilige Ignatius, sind da wohl besonders gefährdet. In diesen Skrupeln haust der Abergeist, der den Skrupulanten beherrscht und um sich selbst kreisen lässt: Wer mit spitzen Steinen in den Schuhen geht, ist auf den Schmerz konzentriert, reibt sich wund, kann vielleicht nicht mehr weitergehen, kann sich schwer für die Umgebung und seine Wanderfreunde öffnen. Das ist für niemanden lebensfördernd. Wie kann man diese Skrupel loswerden, ohne skrupellos zu werden? Es tut gut, einem Außenstehenden von seinen quälenden fixierten Gedanken und Gefühlen zu erzählen – Luft daran zu lassen. „Lass es los!“ Das von jemand anderem zu hören, kann befreien und dazu ermutigen, sich selbst die Erlaubnis zum Loslassen zu geben. Ignatius ist von seinen Beichtskrupeln befreit worden, als er die Skrupel als Werk des Abergeistes entlarvt hat. Dann hatte er die nötige Entschlossenheit, die Skrupel loszulassen. (PB Nr. 25) Und: Wie stellen wir uns Gott vor? Als einen perfektionistischen Steinchen-Zähler, bei dem auch die kleinste Gewichtseinheit ins Gewicht fällt? Oder glauben wir an den Gott Jesu Christi, dessen Vollkommenheit Barmherzigkeit ist, der uns als barmherziger Vater entgegenläuft und uns in seine Arme nimmt, auch wenn wir etwas falsch gemacht haben? Glauben wir Ihm Seine Vergebung? „Wenn unser Herz uns verurteilt - Gott ist größer als unser Herz.“ (1 Joh 3,20) Dieses kostbare Wort der Heiligen Schrift hat immer wieder Menschen mit Skrupeln aufatmen lassen, so dass sie ihre Energie fruchtbar einsetzen konnten für ihre Mitmenschen. Die Unterscheidung der Geister hilft uns, unser Lebensboot zwischen den MeeresUngeheuern Skylla alias Skrupellosigkeit und Charybdis alias Skrupel hindurch zu steuern und mit einem feinen wachen Gewissen im Rückenwind des Heiligen Geistes durchs Leben zu segeln. Claudia Valk sa 9 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

Der verborgene Antreiber Geistlicher Kampf in der ägyptischen Wüste In der Spätantike zogen sich Männer und Frauen nach dem Beispiel des Antonius´ in die weniger fruchtbaren Gebiete entlang des Nil-Laufs zurück, in eines der frühen Klöster oder als Eremit/-in in die Einsamkeit, um in Offenheit gegenüber dem geistlichen Vater oder der geistlichen Mutter, in Gebet und Handarbeit die Machenschaften der Dämonen zu entlarven. Johannes Cassian schildert folgende Szene: Ein erfahrener Altvater beobachtet einen Bruder, der versucht, einen der härtesten Felsen mit einem Hammer zu zertrümmern. Er sieht auch eine schwarze Gestalt bei ihm stehen, die anscheinend die Hände des Mönches mit ihren Händen zusammengebunden hatte und so mit ihm die Schläge führte. Mit brennenden Fackeln schien sie ihn, in die Arbeit zu treiben. Der Altvater blieb lange stehen und wunderte sich über die Kraft des grässlichen Dämons und den Lug und Trug so großer Täuschung. Sooft der Bruder entkräftet die Arbeit beenden will, zwingt ihn der Ungeist, den Hammer wieder zu schwingen. Irgendwann spricht der Altvater den Bruder an: „Was ist das für eine Arbeit, die du da tust?“ Der antwortet: „Wir arbeiten gegen diesen äußerst harten Felsen, doch können ihn nicht im Geringsten zertrümmern.“ Der Erfahrene antwortet: „Richtig hast du gesagt‚ wir konnten nicht. Denn du warst nicht allein, als du den Felsen behauen wolltest. Ein Anderer, den du nicht gesehen hast, stand neben dir; aber nicht um dir beizustehen, sondern um dich elendiglichst hineinzutreiben.“ Die Geschichte führt Merkmale des Dämons an: Er ist „dunkel“, er maskiert sich. Er bindet die Energie des Mönchs, der meint, den Felsen behauen zu müssen. Der Mönch sagt nicht mehr „ich“, sondern redet von einem „wir“ ohne dieses „wir“ zu erkennen. Der Dämon steht neben dem Mönch, das heißt, der Mensch ist nicht der Dämon. Damit wird auch der Weg der Lösung vom Ungeist gezeigt: Discretio und Demut. Zur Discretio, der Gabe unterscheiden zu können, gehören: Erkennen, welcher Gedanke Frieden gibt; sich klarmachen, dass ich nicht identisch mit meinem Gefühl, nicht mit meinem Zorn, nicht mit meiner Leistung bin; die Augen öffnen für Versäumtes: Gebet, rechtes Maß in Arbeit und Entspannung; die Energie umlenken in heilsames Tun. „Demut“, lateinisch „humilitas“ und „humus“, Erde, heißt: Zugeben, dass ich „irdisch“ bin. Ich habe nur begrenzte Kraft, bin anfällig für dumme Einflüsterungen. Ich kenne mich selbst nicht und mache womöglich andere verantwortlich für meine Affekte. Vor allem aber heißt Demut: Aufblicken zu Christus, mit seiner Barmherzigkeit und Gnade rechnen. Gabriele Ziegler SCHWERPUNKT 11 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

12 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER SCHWERPUNKT Die Dinge beim falschen Namen nennen Das erste, was im Koran Aufmerksamkeit erregt, ist der Ehrentitel, der dem Menschen verliehen wird: khalifa, (2,30). Das heißt Stellvertreter, derjenige, der den Willen Gottes erfüllt und Harmonie in der Welt garantiert. Der göttliche Wille hat zwei Ebenen: die allgemeine kosmische Ebene, auf der alles Gott unterworfen ist. Die zweite Ebene ist die ethische, die sich durch den Menschen und den freien Willen verwirklicht, was die Möglichkeit von Rebellion, Disharmonie und Gewalt bedeutet. Dieses gefährliche Potential hat die Engel erschreckt, die nur die Zerbrechlichkeit des Menschen in seiner scheinbaren Zusammensetzung, das heißt den Staub, gesehen haben, ohne seine verborgene Dimension, den göttlichen Atem zu bemerken. Der Koran hebt die Macht der Namen hervor, die Adam gegeben wurden: Gott „lehrte Adam alle Namen“, (2,31), als eine kognitive Kraft, die es ihm erlaubt, seine Rolle als Stellvertreter Gottes und kosmischer Verantwortlicher auszuüben. Das Benennen ist ein Akt der Gerechtigkeit, der das Gleichgewicht zwischen Realität und Denken, zwischen der inneren Welt und dem, was den Menschen umgibt, garantiert. In der Verwirrung und Abwesenheit einer logischen Ordnung von Namen und Werten macht Ethik keinen Sinn, denn alles wird nur hypothetisch möglich. Adam riskiert wegen seiner Vergesslichkeit und Zerbrechlichkeit, aber auch wegen seines Stolzes und Egoismus oft, seine Vision und Position zu verlieren, wenn er den Dingen nicht die richtigen Namen gibt. Adam verliert seine Macht, wenn er sie schlecht benutzt oder nicht mehr weiß, wie man sie beMit dem trügerischen Gebrauch von Worten versucht der Mensch, den Skandal zu verbergen, oder noch schlimmer, die hässliche Realität zu verschönern.

nutzt, indem er dem Flüstern des Satans folgt, dass der Baum des Paradieses eine Quelle des ewigen Lebens sei (20,120). In Kenntnis der Bedürfnisse, Träume und angeborenen Schwächen Adams, verwendet Satan falsche Namen und schreibt diesem Baum imaginäre Kraft zu, um Adam zu Fall zu bringen. Das Spiel des Satans ist genau dieses: er ändert die Namen und verfälscht sie und schafft so Verwirrung und ethisches Chaos. Mit dem trügerischen Gebrauch von Worten versucht der Mensch, den Skandal zu verbergen, oder noch schlimmer, die hässliche Realität zu verschönern und sie akzeptabler zu machen. Heute wird die Erde im Namen des Fortschritts, der Entwicklung und des Wachstums von egoistischen und imperialistischen Projekten verwüstet, die die Natur als jene Beute betrachten, die bis zum letzten Tropfen des Lebens ausgebeutet und genutzt werden muss. Wir können daher sagen, dass falsche Namen, Lügen, der Ursprung der Gewalt sind. Gewalt wird nur von denen als Gewalt bezeichnet, die sie erleiden, aber für die Aggressoren wird sie nicht als Gewalt bezeichnet: Die Aggressoren geben ihr oft Namen, die mit Ehre und mit Werten zu tun haben: Demokratie bringen, die Welt zivilisieren, etc. Im wirtschaftlichen Bereich werden Begriffe wie Entwicklung, Wachstum, Investitionen usw. verwendet. Niemand im System wagt es, die wirklichen Namen auszusprechen: Ausbeutung, Missbrauch, Sklaverei, Spekulation, Wucher. Die Angreifer benutzen dieses satanische Wortspiel, um Gewalt zu rechtfertigen und ihr Handeln schön zu reden. Die Lüge ist eine verbale Gewalt, die sich leicht in psychologische Gewalt verwandelt, um schließlich zu physischer Gewalt zu werden. Adnan Mokrani Übersetzung aus dem Italienischen von Marco Hubrig SJ

14 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER SCHWERPUNKT Besessen oder psychisch krank? Mit dem Begriff „Abergeister“ übersetzt der Theologe Fridolin Stier das Wort „Dämonen“, das wir in den synoptischen Evangelien lesen. Die Dämonen wissen, dass Jesus der Menschensohn ist und widersetzen sich seiner heilenden Macht. Sie bewirken Unordnung, sozialen Ausschluss, auffälliges Verhalten; wie im Fall des Besessenen von Gerasa (Mk 5), den Jesus von den quälenden Abergeistern, „unreinen Geistern“ befreit. Dämonische Besessenheit ist ein Zustand widergöttlicher Unordnung, dessen Überwindung die göttliche Vollmacht Jesu zeigt. Die Abergeister gehören zum biblischen Weltbild; heute würden wir ihre Auswirkungen eher als Verhaltensstörung, in manchen Fällen auch als Epilepsie beschreiben. Spuren dieser biblischen Auffassung von Besessenheit zeigen sich in der Taufliturgie, wenn um den Schutz vor der Macht Satans gebetet wird und der Täufling bzw. die Eltern und Paten vor dem Glaubensbekenntnis allem Widergöttlichen widersagen. Unsere moderne Sicht vom Menschen betont die Autonomie und Abgegrenztheit der Persönlichkeit, erklärt Störungen des Erlebens und Verhaltens im Allgemeinen nicht mehr durch Dämonen, sondern durch Krankheiten oder Vergiftungserscheinungen. Aber auch heute gibt es Menschen, die sich selbst für besessen halten oder die andere so beschreiben. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten nennt als Kriterien für Trance- und Besessenheitszustände: Solche Zustände treten im Alltagskontext außerhalb von religiösen oder kulturell akzeptierten Situationen auf. Es liegt ein zeitweiliger Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung vor. Die Herbeiführung dieser Zustände ist ungewollt und unfreiwillig. Ein weiteres (optionales) Kriterium ist die Überzeugung, fremdbeherrscht zu werden (z.B. durch einen Geist, durch Gott, durch eine andere Kraft/Person). Durch diese Definitionen der Weltgesundheitsorganisation wird klar: „Besessenheit“ ist auch heute für manche Menschen ein Krankheitsmodell, allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden und abhängig vom jeweiligen kulturellen und religiös-spirituellen Hintergrund. Sowohl die biblischen Berichte von Abergeistern, als auch seelische Krankheiten in unserem Umfeld, die z.B. mit Entfremdungserlebnissen einhergehen, mit dem Verlust der Einheit des Erlebens (Dissoziation) oder mit Halluzinationen (Stimmenhören) erinnern uns an unsere eigene Brüchigkeit und Verletzlichkeit. Die Wirkung von Abergeistern besteht darin, dass sie ein Erschrecken vor der Fremdheit des Anderen auslösen und den „normalen“ Menschen dazu bringen, sich abzugrenzen, das auffällige Fremde im Anderen auszugrenzen. In dieser Hinsicht ist Jesus ein Modell: Er geht auf die Abergeister zu, spricht sie an, vor allem aber spricht er die Besessenen an, holt sie in die Gemeinschaft zurück: „Geh

nach Hause, und berichte deiner Familie alles, was der Herr für dich getan und wie er Erbarmen mit dir gehabt hat“ (Mk 5,19). Jesus diskutiert nicht mit dem Besessenen dessen Dämonen-Modell. Vielmehr kann er ihn befreien, weil er dieses damals gängige Modell teilt. Auch für uns ist es wichtig, zunächst das Modell zu hören und zu verstehen, mit dem eine hilfesuchende Person ihre Not beschreibt. Möglicherweise ist uns dieses Modell auf Grund unseres eigenen Welt- und Menschenbildes fremd. Entscheidend ist, dass wir das Leiden ernst nehmen, das uns in dieser Form begegnet. Vielleicht kann die leidende Person noch nicht „ich“ sagen, redet von dem, was „man“ ihr antut, von Einflüssen, denen sie ausgeliefert ist. Wenn wir sie als Person ansprechen, ist der erste Schritt zur Befreiung getan. Eckhard Frick SJ 15 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

Ja, aber – Nein! Abergeister in der Jugend Wer bin ich? Wer will ich sein? Wer kann ich sein? Wer muss ich sein? Diese Fragen stellen sich gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders dringlich, geht es bei bedeutenden Entscheidungen im Leben doch um die eigene Identität. Bei meinen eigenen Überlegungen als junge Frau drückte sich die Suche nach der Lebensgestalt in folgenden Fragen aus: Möchte ich als Erzieherin arbeiten? Oder besuche ich noch die Berufsoberschule, um das Abitur nachzuholen? Möchte ich dann Psychologie oder Theologie studieren? In welche Lebensform werde ich gerufen: in eine Partnerschaft oder in eine Ordensgemeinschaft? Beim Abwägen der Vor- und Nachteile, beim Erspüren wohin es mich zieht, sind verschiedene Stimmen laut geworden, darunter auch die ABERgeister: Ja, aber du hast doch schon einen Beruf. Ja, aber was machst du dann mit dem Theologiestudium. Ja, aber du findest nicht den richtigen Orden. Ja, aber du willst dich doch nicht wirklich an einen Menschen binden. Das „Ja, aber“ scheint auf den ersten Blick noch zustimmend, doch im Grunde ist diese Aussage als „Nein“ gemeint. So kommt der ABERgeist daher: Zunächst bringt er mit dem „ja, aber“ begründete Einwände, jedoch mit dem Ziel, von den bisherigen Überlegungen weg zu führen oder eine Entscheidung zumindest unnötig zu verzögern. Ein weiterer übler, häufig auftretender und äußerst wirksamer ABERgeist ist das Vergleichen. Dieser macht einen durch das Vergleichen mit anderen, die vermeintlich kreativer, intelligenter oder liebenswürdiger sind, klein und hindert daran, den eigenen Weg weiterzugehen. Ablenkungen durch vermeintlich wichtige Tätigkeiten sind ebenfalls eine Erscheinungsform des ABERgeistes. Sie können die ernsthafte Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensfragen hervorragend verhindern. „Ich erlebe immer mehr Freiheit, wenn ich wirklich nur für den heutigen Tag, oder besser, für das sorge, was JETZT dran ist und dass es gut ist, auf die Gefühle zu achten und sich vom ABERgeist nicht zu oft ablenken zu lassen und diesen liebevoll anzuschauen, um besser zu verstehen, worum es wirklich geht.“ Diesen Tagebucheintrag habe ich auf meinem Pilgerweg auf den Spuren des Heiligen Ignatius in Spanien gemacht. Meine Erfahrung war, dass der ABERgeist seine hemmende Macht verliert, wenn ich ihn wahrnehme und sein Motiv durchschaue. Mit einem entschiedenem „trotzdem“ lässt er sich auch gut in die Schranken weisen. So habe ich mich dem ABERgeist zum Trotz dafür entschieden, das Abitur nachzumachen, 16 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

um danach Theologie zu studieren. Es waren vor allem andere Menschen, die mich ermutigt und unterstützt haben, diesen Schritt zu wagen. Während des Studiums bin ich dann einen intensiven Weg des Suchens in Bezug auf die Lebensform gegangen. Wohin ruft Gott mich? Auch vor dieser Wahl wurden die ABERgeister wieder laut. Um sie zu erkennen und vom guten Geist Gottes zu unterscheiden, hat mir der Austausch mit Gleichgesinnten gutgetan. Ebenso hilfreich waren Geistliche Begleitung, Exerzitien und das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Außerdem haben mich zwei Kriterien bei der Suche begleitet: 1. Wo ist größere Freiheit spürbar? 2. In welcher Form kann ich „mehr“ dem Leben dienen? Irgendwann bin ich in meiner Frage zur Indifferenz gelangt, d.h. ich konnte mir Gemeinschaft, Partnerschaft und Alleinsein in gleicher Weise vorstellen. Darauf habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Und so kam es auch hier, den ABERgeistern zum Trotz, zu einer Lebensentscheidung, die in eine größere Freiheit und Lebendigkeit führte. Bettina Kustner 17 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

Geduld mit den Verhältnissen und Ungeduld mit Menschen Spielweisen der Abergeister in der Lebensmitte Gibt es Versuchungen, die für eine bestimmte Lebensphase charakteristisch sind und nicht anhaltend gelten, sobald die Kindheit vorbei ist? Die Versuchungen durch den Luxus, die Macht, die Grausamkeit, den Möglichkeitssinn und den Eros scheinen mir keinem bestimmten Lebensalter vorbehalten – die Weltliteratur handelt davon, und man muss nur Dostojewskijs ‚Verbrechen und Strafe‘ oder Thomas Manns ‚Der Tod in Venedig‘ lesen, um die unterschiedlichen Varianten durchgespielt zu finden. (Sind Männer übrigens anfälliger? Gibt es eine weibliche Literatur der Anfechtung?) Eine spezifische Anfechtung des mittleren Lebensalters müsste mit der Zeit zu tun haben, denn die erzeugt ja erst die Unterscheidung, nach der hier gefragt wird. Genauer mit der Lebenszeit und ihrem sich zwischen 30 und 60 immer deutlicher 18 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

verschärfenden Konflikt mit der Weltzeit. Was als „midlife crisis“ beschrieben wird, setzt das Innewerden der ablaufenden Lebenszeit voraus. Melancholie ist nicht die einzige Reaktion auf diese Zumutung der vergehenden Zeit. Die Jahre der Erkenntnis fallen für viele zusammen mit den Jahren des beruflichen Aufstiegs. Zwischen 30 und 60 übernehmen wir schrittweise mehr Verantwortung, entscheiden mehr. Erfahrungswachstum und Lebenszeitverknappung können sich an einem sehr spezifischen Punkt überkreuzen, der eine „Versuchung des mittleren Lebensalters“ markiert. Ich spreche von der Ungeduld. Jenseits der 30 sehen wir die Dinge nicht mehr zum ersten Mal; wir haben in verschiedener Hinsicht unsere Position gefunden und sind in ihr gefestigt – äußerlich wie innerlich. Was in jüngeren Jahren eine Tugend ist – das unbekümmerte Staunen, die Offenheit für alles, was neu ist – können wir uns aus guten Gründen nicht mehr in demselben Ausmaß leisten. Es wäre fahrlässig, nicht aus vergangenen Erfahrungen zu lernen und jede Situation so zu erleben, als sei sie zum ersten Mal da. Aber dieser Zugewinn an Wissen, an innerer Festigkeit geht einher mit der Ungeduld gegenüber denen, die es noch nicht so gut wissen; die unsere Schlüsse noch nicht gezogen haben; die noch in den inneren Provinzen stecken, denen wir stolz entwachsen zu sein meinen. Und deshalb werden wir ungeduldig mit denen, die langsamer sind, die unseren Vorsprung an Erfahrung nicht eingeholt haben - vermeintlich jedenfalls. Und gerade in einer Lebensphase, in der die Reichweite eigener Verantwortung eher steigt, kann das in einer Ungeduld denjenigen gegenüber resultieren, für die man Verantwortung trägt: der Ärztin mit ihren Patienten; der Lehrerin mit ihren Schülern; der Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern. Auch die Idee (und häufig genug: Erwartung der Anderen) es wissen zu müssen, kann in dieser Phase des Lebens dazu führen, eher schnell als langsam zu entscheiden. Und diese Ungeduld der mittleren Jahre lässt uns schlechter hören, seltener lernen, häufiger Recht haben. Es gibt eine zweite Versuchung dieses Lebensalters – es ist die der Komplizenschaft mit den Verhältnissen. Auch sie hat zu tun mit den schrumpfenden Zeithorizonten (und wird vielleicht erst gegen Ende der Phase einsetzen, also näher an 60 als an 30). Wenn man einsieht, dass die Dinge innerhalb der eigenen Lebensspanne nicht mehr grundsätzlich umgekrempelt, revolutioniert, verbessert werden können, so wächst die Tendenz sich mit ihnen zu arrangieren – vor allem, wenn man nicht Opfer dieser Verhältnisse gewesen ist, sondern von ihnen profitiert hat. So überkreuzen sich zwischen 30 und 60 zwei Versuchungen zu einem eigentümlichen Chiasmus: Geduld mit den Verhältnissen und Ungeduld mit den Mitmenschen. Wer diesen Versuchungen entgehen will, könnte sich an der Spiegelung dieses Chiasmus orientieren. Thorsten Wilhelmy

Alles vermag ich in dem, der mich stärkt Umgang mit den Abergeistern im Alter Die Lebenssituation im Alter ist unterschiedlich: Die einen werden in der Familie alt, andere in einem Altersheim, andere als Single. Im Folgenden beschreibe ich, wie sie mir in der Altenkommunität von etwa 20 Jesuiten in Berlin-Kladow begegnen. Einige fürchten sich davor, die gewohnte Umwelt zu verlassen und dorthin zu kommen, wo sie eigentlich gar nicht hinwollten. Andere können sich gut damit arrangieren. Wichtig ist, sein Dasein jetzt nicht nur negativ zu sehen, sondern noch als eine Sendung, die einer oder eine im Gehorsam annimmt: „Er [ein älterer Jesuit] soll vom Herrn lernen, dass ihm im Gegenteil ein neuer Weg eröffnet wird, seine apostolische Sendung als Jesuit zu verwirklichen. Das Alter vermindert in keiner Weise sein Priestertum noch wahre apostolische Vitalität. Auch wenn er jetzt vielleicht nur noch in der Lage ist, der Eucharistie beizuwohnen und privat darum zu beten, dass der Herr die Arbeit der Kirche und seiner Mitbrüder segnet, fährt er gerade darin fort, ein geschätzter Apostel und Arbeiter zu sein. Jetzt ist er vielleicht sogar am allermeisten aufgerufen, ein Leben des priesterlichen Gebets für andere zu leben, zusammen mit Christus, dem Hohenpriester, der uns vorangegangen ist als Urheber und Vollender des Glaubens (Hebr 12,2)“ 34. Generalkongregation (Anm. d. Red. Synodalbeschluss des Jesuitenordens weltweit von 1995). Wenn die Grundhaltungen des Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe sind, dann wird der böse Geist versuchen, den Menschen aus diesen Haltungen mit Gewalt oder schleichend mit List und Tücke herauszureißen. Der Abergeist will Resignation, Überdruss, Zweifel, Unruhe oder Aggressivität in uns wecken. Der Abergeist zeigt sich im inneren Einreden, in 1.000 verschiedenen Weisen. Vielleicht haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass wir es gar nicht mehr merken. Glaube, Hoffnung, Liebe, das klingt ja ganz schön, aber ich kann nicht glauben, dass es Gott mit mir noch gut meint. Ich kann nicht hoffen, dass es noch mal anders wird und wie soll ich lieben, wenn ich selbst nicht geliebt werde. So könnte der Abergeist sagen - da ist es dieses innere „Aber“, dieser Widerstand sich der Gnade Gottes zu öffnen und nicht allein auf sich zu schauen. Gegen solche inneren Einreden müssen wir uns wehren, sie durchschauen, uns sagen: alles vermag ich in dem, der mich stärkt. Deswegen ist dieses Gebet wichtig: o Gott, komm mir zu Hilfe, Herr eile mir zu helfen! So bleibe ich nicht bei mei20 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

ner gefühlten Ohnmacht stehen, sondern übergebe mich dem Herrn, und lerne mein Kreuz anzunehmen und zu tragen. Die Abergeister wollen uns hindern, in Gott unsere Erfüllung zu suchen, sie bieten Ersatzlösungen durch Gewohnheiten und Süchte an, die sich durch ihre Maßlosigkeit zeigen. Solche Süchte können sein: Trunksucht, Spielsucht, Esssucht, sich im Internet verlieren, stundenlang am Fernseher zu sitzen, mit dem Handy dauernd beschäftigt zu sein oder Aggressivität und Kritiksucht. Alt werden ist die Herausforderung noch einmal zu wachsen im Loslassen vieler Dinge. Was kann im Umgang mit den Dämonen helfen? Auch Jesus ist versucht worden: Er erkennt die Dämonen und widersteht ihnen mit Worten aus der hl. Schrift und in der Kraft des Gebetes. Sein Fasten lädt uns ein, zu verzichten und auch Schmerzen zu ertragen. So ist es auch hilfreich, sich stärken oder ausrichten zu lassen durch ein Gespräch oder den geistlichen Begleiter. Es gibt auch die Hilfen füreinander: ein erblindeter Pater ließ sich regelmäßig von einem Mitbruder etwas vorlesen. Ein anderer ließ sich fast täglich im Rollstuhl in den Garten fahren und genoss den Blick auf die Havel. Andere vollbringen noch kleinere Dienste im Haus oder Garten. Für manche ist der Kontakt mit Angehörigen durch Telefonate oder auch Besuche wichtig. Gundikar Hock SJ 21 Das Alter vermindert in keiner Weise sein Priestertum noch wahre apostolische Vitalität.

Dankbarkeit üben Meine Arbeit als Kaplan und Studentenseelsorger erlebe ich als eine sehr sinnvolle und bereichernde Aufgabe. Wie notwendend sie ist, spüre ich besonders beim Beichthören. Egal, ob anonym im Beichtstuhl, wenn ich nur auf die Worte konzentriert bin, oder bei einem Beichtgespräch, in welchem man sich gegenübersitzt, egal, ob jung oder alt: wenn ich am Ende der Beichte die Lossprechungsworte zusagen darf, dann sind das immer Worte, die befreien und bestärken. Sie lauten: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Das ist der Moment, in dem Gottes Liebe zu uns Menschen konkret wird und er uns vielfältige Lasten, die auf unserer Seele liegen, abnimmt. Gottes Liebe befreit uns von Schuld und stärkt uns neu für unseren Alltag. Meist frage ich am Ende der Beichte, wofür er oder sie dankbar sei. Das erstaunt die meisten. Als Antwort höre ich: für mein Leben, für meine Familie, für meinen Beruf etc. Das ist wunderbar und ein Segen, wenn man dafür dankbar sein kann. Trotzdem frage ich nochmals nach: „Ganz konkret, wofür sind Sie dankbar während der letzten 24 Stunden? Auch wenn es nur irgendeine Kleinigkeit ist, nur das Zwitschern der Vögel. Drei Dinge finden sich immer!“ Gelegentlich finden sich dann sogar viel mehr, manchen fällt es aber auch schwer, drei Begebenheiten zu benennen. Warum mache ich das? Es entspricht unserer Erfahrung, dass die Welt ziemlich laut, hektisch und stressig sein kann. Damit ist die Tendenz gegeben, dass sich Erlebnisse in den Vordergrund drängen und alles andere übertönen, die sich diesem Lärm und Druck beugen: wenn etwas schiefgegangen ist, wenn wir etwas falsch gemacht, vielleicht sogar gesündigt haben. Je mehr ein Abergeist unsere Gedanken um das Misslungene, um Schlechtes und Schwieriges kreisen lässt, umso mehr wird Gottes Gegenwart in unserem Leben dadurch in den Hintergrund gedrängt. Selbst die befreiende Zusage der Lossprechung in der Beichte kann dabei schnell in Vergessenheit geraten. Gegen diese Dynamik ist eine Fokussierung auf die Dankbarkeit ein hilfreiches Heilmittel. Denn in den Erlebnissen und Momenten der Dankbarkeit lassen sich die Spuren Gottes in unserem Leben konkret entdecken. Gottes Geist kann uns in einem Lächeln oder einer helfenden Hand aufleuchten. Der schöpferische Geist Gottes schimmert durch die Blüte am Straßenrand, kann sich im Sprießen der Blätter zeigen. Der begleitende Geist Gottes wird erfahrbar, wenn mir etwas gelingt. Deswe22 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER GEISTLICHER IMPULS

gen sind all die schwierigen Dinge nicht einfach weg. Doch wenn ich mir die Erlebnisse der Dankbarkeit vor Augen halte und mich damit auf die Suche nach Gottes Geist in meinem Leben mache, dann wächst nach und nach mein Vertrauen in IHN. Das Vertrauen, das uns befähigt, auch das Schwere anzunehmen, es vielleicht sogar zu verwandeln, wird gestärkt. Jesus hat dieses Vertrauen – nach seinem intensiven Ringen am Ölberg - bis ans Kreuz aufgebracht und uns die Kraft der verwandelnden Liebe Gottes in seiner Auferstehung bezeugt. Nun weiß ich wohl, dass viele von Ihnen mit der Beichte nicht mehr viel anfangen können. Vielleicht könnte aber folgende Übung hilfreich für Sie sein: Wenn Sie erleben und realisieren, dass etwas schiefgegangen ist, dann schlagen Sie sich sanft an die Brust und beten ein leises „Herr, erbarme Dich.“ Und gleich danach machen Sie sich auf die Suche nach drei Dingen, wofür Sie dankbar sind, begleitet von einem leisen „Herr, ich danke Dir.“ Im Wissen, dass Gottes Geist immer mit Ihnen sein will, können sie künftig vielleicht anders reagieren und handeln. Und natürlich kann diese Dankbarkeitsübung auch einfach so gemacht werden – auf dem Nachhauseweg, vor dem Einschlafen, oder einfach bei einem ruhigen Durchschnaufen. Hans-Martin Rieder SJ

NACHRICHTEN 24 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER Neues aus dem Jesuitenorden Papst bestätigt Ausrichtung des Ordens Papst Franziskus hat die inhaltliche Ausrichtung des Jesuitenordens offiziell bestätigt und bekräftigt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Ordens haben alle Mitglieder weltweit mitdiskutiert, was die Gesellschaft Jesu in den nächsten zehn Jahren für die Kirche und die Gesellschaft bewirken will. Herausgekommen sind vier Schwerpunkte, nach denen sich die Arbeit des Ordens ausrichten soll. Nachdem Papst Franziskus diesen Schwerpunkten seine Zustimmung gegeben hat, veröffentlichte sie der Generalobere Pater Arturo Sosa SJ in einem Schreiben an den ganzen Orden und die Mitarbeiter. In einem Bestätigungsschreiben schreibt Papst Franziskus: „Der Prozess, den die Gesellschaft unternommen hat, um zu universellen apostolischen Präferenzen für die kommenden Jahre zu gelangen, war ein Weg, das heißt, die Auswahl der verschiedenen apostolischen Möglichkeiten hat sie in Bewegung gesetzt. Das tröstet mich, es war eine dynamische Unterscheidung, keine Bibliothek oder Labor, was auch keine echte Unterscheidung gewesen wäre.“ Die vier Präferenzen stünden im Einklang mit den gegenwärtigen apostolischen Prioritäten der Kirche, so der Papst. Die Schwerpunkte setzen die Richtung des Ordens fort, den dieser seit den letzten Generalkongregationen gegangen ist und formulieren nun diese Ausrichtung in wenigen kurzen Sätzen: 1. Ein Weg zu Gott: Durch ignatianische Unterscheidung und Exerzitien Gott finden helfen. 2. An der Seite der Benachteiligten: Auf dem Weg mit den Armen, den Ausgestoßenen der Welt, den in ihrer Würde Verletzten für Versöhnung und Gerechtigkeit eintreten. 3. Mit jungen Menschen: Jugendliche und junge Erwachsene bei der Gestaltung einer hoffnungsvollen Zukunft begleiten. 4. Für die Schöpfung: In der Sorge für das Gemeinsame Haus zusammenarbeiten. Für den Generaloberen Pater Arturo Sosa sind die weltweiten apostolischen Präferenzen der beste Weg, wie der Orden, mit dem was er sei und habe, der Kirche heute dienen könne. Planung für Heinrich-Pesch- Siedlung steht „Miteinander wohnen und leben, lernen und arbeiten“ - so lautet das Motto für die „Heinrich-Pesch-Siedlung“, die westlich des Heinrich Pesch Hauses in Ludwigshafen entstehen soll: Auf einer Fläche von

rund 15 Hektar werden ab 2021 450 bis 550 Wohneinheiten für bis zu 1.500 Menschen entstehen. Hinzu kommen rund 7.000 bis 12.000 Quadratmeter Gewerbeflächen und etwa ebenso viele Flächen für Sondernutzung. Arbeiten, Wohnen, Bildung und Soziales sollen in der Siedlung miteinander verzahnt werden. Nachdem der „Masterplan“ im Bau- und Grundstücksausschuss der Stadt Ludwigshafen angenommen wurde, soll noch in diesem Jahr der Bebauungsplan beschlossen werden. Danach beginnen die Erschließungsarbeiten, und spätestens 2021 kann mit dem Bau der ersten Wohnhäuser gestartet werden. „Wir wissen, dass die Verantwortlichen viel Zeit, Liebe, Engagement und Herzblut in die Planung gesteckt haben, dafür möchte ich mich herzlich bedanken“, so Ludwigshafens Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck. Sie teilt die Auffassung, wonach die Heinrich-Pesch-Siedlung „gut für die Menschen. Und für unsere Stadt“ ist. Pater Johann Spermann SJ, Direktor des Heinrich Pesch Hauses, lobte seinerseits die hervorragende Zusammenarbeit mit verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung. Ein Provinzial auf dem Sofa Die Palette reichte vom Ordensnachwuchs bis zur Causa Wucherpfennig: Mit großer Offenheit stand Pater Johannes Siebner SJ, Provinzial der Jesuiten in Deutschland, Ende Januar im Saal von St. Michael in München, Rede und Antwort. Beim Neujahrsempfang des Freunde der Gesellschaft Jesu e.V. stellte sich Siebner den Fragen von Hiltrud Schönheit, der Vorsitzenden des Katholikenrats der Region München. In fast familiärer Atmosphäre ging es bei dem Gespräch auf dem Sofa um Themen, die sowohl die Jesuiten als auch die Freunde des Ordens umtrei25 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER P. Johannes Siebner SJ antwortete auf die Fragen von Frau Hiltrud Schönheit. © SJ-Bild © SJ-Bild Der erste Masterplan für die neue Heinrich Pesch Siedlung in Ludwigshafen

ben. Sicher überraschend war für einige die Zuversicht des Provinzials mit Blick auf die Zukunft: Auch wenn die Zahl neuer Ordenseintritte stagniert, so zeige sich aus den immer internationaler werdenden Treffen junger Jesuiten, „welche große Dynamik die jungen Leute mitbringen“. Auf den Nägeln der Anwesenden brannte natürlich die Causa Wucherpfennig, dem Jesuiten-Mitbruder in Frankfurt/ Sankt Georgen, dessen Bestätigung als Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule durch den Vatikan im vergangenen Jahr Wellen geschlagen hatte. Siebner beklagte dabei mangelnde Professionalität der beteiligten Dikasterien und dass das Vertrauen in objektive Entscheidungen in Rom hinterfragt werde. Rechtgläubigkeit könne nicht über einen Verwaltungsakt durchgesetzt werden, so das Fazit des Provinzials. In der aktuellen Diskussion der Bewertung von Homosexualität plädierte er dafür zu beachten, dass es wesentlich darum ginge, die Würde aller Menschen zu respektieren. Die MHG-Studie unterstreiche, dass die aufgedeckten Fälle sexuellen Missbrauchs im Kern einen Machtmissbrauch offenbarten. Hiltrud Schönheit wollte schließlich wissen, wie er sich die Rolle der Frau in der Kirche und im Orden vorstelle. Hier betonte Siebner, er antworte als Mann und Kleriker und dies sei seine eigene persönliche Meinung: „Das Diakonat der Frau ist nur der Einstieg. Warum nur über das Diakonat sprechen?“ Langendörfer sieht Reformbedarf Die „Gefahr einer Ohnmacht“ in der Kirche sieht der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Pater Dr. Hans Langendörfer SJ. „Die gegenwärtige Zeit gehört nicht zu den guten Zei26 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER P. Hans Langendörfer SJ, Norbert Bauer und Christiane Florin (v.l.) bei dem Podiumsgespräch „Wohin treibt die katholische Kirche in Deutschland?“. © SJ-Bild/Bernhard Raspels

ten in der Kirche, wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, so umschrieb er die Lage der katholischen Kirche in einem Podiumsgespräch in der Kölner Karl Rahner Akademie. Er diskutierte vor rund 200 Zuhörern mit der Journalistin des Deutschlandfunks und Buchautorin Dr. Christiane Florin über das Thema „Wohin treibt die katholische Kirche in Deutschland?“. Besonders seit der Vorstellung der Missbrauchsstudie im September 2018 sieht Langendörfer einen erhöhten Reformbedarf der deutschen Kirche. Dazu gehöre auch eine breite Debatte über den Zölibat und die kirchliche Sexualmoral, die neue Erkenntnisse aufnehmen und auch im Vatikan sowie der Weltkirche gehört werden müsse. „Wie kommen wir überhaupt einen Schritt weiter“, fragte Langendörfer und antwortete zugleich: „Den Worten des Bedauerns und der Missbilligung müssen wir Taten folgen lassen.“ Zugleich forderte er auch ein kirchliches Straf- und Disziplinarrecht für die deutsche Kirche. Denn bei Missbrauchtätern nütze es wenig, wenn Fälle erst nach Jahren entschieden würden. Überdies muss es nach den Worten des Sekretärs der DBK mehr „Gewaltenteilung“ in der Kirche geben, indem etwa in Deutschland eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt werde. Das ganze kirchliche Gerichtswesen sollte stärker national gestaltet werden. Personalnachrichten P. Clemens Blattert geht von September 2019 bis Ostern 2020 ins Tertiat nach Salamanca. Derweil wird P. Clemens Kascholke in Vertretung die Leitung der Berufungspastoral mit ihren Bereichen „Jesuitwerden“ und „Zukunftswerkstatt“ übernehmen. P. Ralf Klein wird zum 1. November nach zehn Jahren als Provinzökonom abgelöst. Bei der Mitgliederversammlung der Deutschen Ordensoberenkonferenz (DOK) vom 19.-22. Mai in Vallendar wird er für das Amt des Generalsekretärs kandidieren. P. Marco Mohr ist mit Zustimmung von P. General zum Rektor des Canisius-Kollegs ernannt worden. Nach sechs Jahren als Kollegsseelsorger am Aloisiuskolleg wird er dort am 29. Mai verabschiedet. Als Nachfolger von P. Tobias Zimmermann wird er das Amt im Rahmen des Sommerfests am Canisius-Kolleg übernehmen und am 15. Juni antreten. P. Helmut Schumacher wird nach Abschluss seiner Promotion länger am Jesuitenkolleg in Innsbruck bleiben. Er soll zusätzlich zur Leitung des Jugendzentrums Marianische Kongregation (mk) eine SJZukunftswerkstatt in Innsbruck aufbauen. P. Johann Spermann ist mit Zustimmung von P. General zum Provinzökonomen ernannt worden. Er übernimmt das Amt am 1. November 2019 von P. Ralf Klein. P. Tobias Zimmermann wird nach acht Jahren als Rektor des Canisius-Kollegs abgelöst. Er übernimmt im September als Direktor die Leitung des Heinrich Peschs Hauses von P. Johann Spermann und bleibt weiterhin Delegat für Ignatianische Pädagogik. Zusammengestellt von Pia Dyckmans Redaktionsschluss: 19.2.2019 27 JESUITEN n MÄRZ 2019 n ABERGEISTER

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