Jesuiten 2019-4

Anders als in einem Priester- seminar liegen die Poetry Schools inmitten der Dorfgemeinschaft und sind in diese eingebunden. durchlaufen werden müssen, um sich am Ende selbst als Master Poet bezeichnen zu dürfen. Schüler_innen der höheren Grade teilen ihr erlerntes Wissen mit den Anfänger_innen. Dank dieses Tutorensystems können an einer Schule bis zu 200 Schüler_innen gleichzeitig ausgebildet werden. Improvisation ist ein wichtiges Charakteristikum von Quinea. Die Schüler_innen lernen, ganz spontan und ohne längere Vorbereitung, Gedichte aufzusagen. Dass diese im jeweiligen Moment entstehen, führt dazu, dass keines wiederholt aufgesagt werden kann. Diese poetische ‚Performance’ bringt die äthiopische kontemplative Tradition zum Vorschein. Quinea wird als eine Möglichkeit begriffen, das theologische Mysterium offen zu legen: In der Dichtung wird neben dem Sichtbaren auch das Unsichtbare offenbar. Beide sind untrennbar und kommunizieren miteinander durch Symbole. Worin bestehen die Vorteile einer poetischen Theologie? Daniel Assefa stammt selbst aus Äthiopien und hat im Rahmen eines Forschungsprojektes erstmals eine Dokumentation und Analyse von Quinea initiiert. Er schreibt ihr grundlegende Vorteile gegenüber der ‚klassischen Theologie‘ zu: Anstatt auf einer dogmatischen Theologie baut Quinea auf einem stark lebensorientierten Ansatz auf, der durch die Beobachtung der Umwelt und das Zusammenleben der Gesellschaft geprägt wird. Die eigene Erfahrung und Kreativität stehen im Vordergrund. Anders als in einem Priesterseminar liegen die Poetry Schools inmitten der Dorfgemeinschaft und sind in diese eingebunden. Durch den öffentlichen Vortrag der Gedichte, die Kritik und Weiterführung durch andere Poeten sowie die Resonanz des Publikums auf die Texte ist der Lernprozess dialogisch und nicht isoliert. Ein weiterer Vorteil dieser poetischen Theologie ist ihr sprachlicher Freiraum. Im theologischen Curriculum ist das Reflexionsvermögen von besonderer Bedeutung, kreativer Ausdruck hingegen nicht. Akademische Fachartikel müssen sehr direkt und explizit im vorgegebenen Fachjargon formuliert sein. Das poetische Theologisieren fördert hingegen den Gebrauch biblischer Metaphern und könnte so als Teildisziplin auch die klassische Theologie bereichern. Marita Anna Wagner 17 JESUITEN n DEZEMBER 2019 n THEO:POESIE

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