Jesuiten 2019-4

Ein Knoten in der Wirklichkeit Als Theologin höre ich immer wieder, dass es Menschen unfassbar schwerfällt, mit Anderen über Glauben zu sprechen. Dabei ist es unerlässlich, dass wir als Menschen über unsere Ideen und Vorstellungen von unserer Wirklichkeit in ein Gespräch kommen. Es ist die einzige Möglichkeit, einander in unseren verschiedenen Lebenswelten zu verstehen und dadurch einen von Liebe und Respekt geprägten Umgang miteinander zu finden. Sich gegenseitig zu begegnen ist nur möglich, indem wir Knotenpunkte zwischen unseren Wirklichkeiten schaffen. Diese Knotenpunkte knüpfen wir durch Kommunikation, maßgeblich durch Sprache. In zwei verschiedenen Welten – Theologie und Poesie – begegnet mir das. So unterschiedlich beide sein mögen, so offen spreche ich in beiden über meinen Glauben. Immer so, dass man mich versteht. Ich halte wenig davon, die immer selben Worte aus den immer selben kirchlichen Kontexten zu verwenden, ohne sichtbar zu machen, was für mich in ihnen steckt. Sprache, die Menschen nicht erreicht, ist sinnentleert. Deshalb versuche ich für die Menschen aus nichtkirchlichen Kontexten und jenen in der Kirche, welche nicht vom typischen kirchlichen Vokabular erreicht werden, eine neue Sprache zu finden. Dabei hilft mir Poesie – auf der Bühne wie im Alltag – um mit verschiedensten Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich begeistere mich für Poesie in ihrer rohsten, alltäglichsten Form – für mich allgegenwärtig. Ich sehe sie im Zusammenspiel von Menschen und wie sie ihre Wahrnehmung versprachlichen. Indem wir versuchen, anderen unsere Wahrnehmung zu erklären, wagen wir den Versuch, uns verständlich zu machen und unsere unterschiedlichen Wirklichkeiten abzugleichen. Genau dort kommt der Glaube ins Spiel. Er soll Menschen zusammenbringen. Damit er das weiterhin tun kann, müssen wir eine Sprache finden, die authentisch, unverbraucht ist. Dann wird sie neu gehört – und gleitet nicht einfach vorbei. Eine – zusätzliche – neue Sprache ist nötig! Damit wir uns in unseren Wirklichkeiten erreichen können, müssen wir Knoten durch eine Sprache und Kommunikation knüpfen, die uns trifft. Gott ist diese Knotenpunkte. Gott ist das, was uns davon abhält, in unseren Wirklichkeiten so weit voneinander weg zu driften, dass wir uns nicht mehr erreichen können. Gott ist Knotenpunkte wie Verbindungsstücke zwischen Menschen und Türen in Wirklichkeitsmauern, durch die wir uns die Hände reichen und unsere eigene Wirklichkeit erweitern können. Veronika Rieger SCHWERPUNKT © VioletaStoimenova iStock.com 19 JESUITEN n DEZEMBER 2019 n THEO:POESIE

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