Jesuiten 2020-1

Kinder an die Macht Wenn Jesus nach der Macht gefragt wird, stellt er ein Kind in die Mitte. Das ist schon im ältesten Evangelium so. Der „Rangstreit der Jünger“ ist die Perikope im Markusevangelium überschrieben, aber der Titel trifft es nicht ganz. Die Jünger unterhalten sich darüber, wer der Größte von ihnen sei, und als Jesus das mitbekommt, stellt er ihnen einfach ein Kind in die Mitte. Das „Kind in der Mitte“ passt als Überschrift besser, oder freier: „Kinder an die Macht!“. Der Rang einer Person ließ sich in der antiken Gesellschaft – wie bei öffentlichen Versammlungen auch heute noch – daran ablesen, welchen Platz man ihr zuwies: Wer für bedeutend gehalten wurde, hatte einen oberen Platz, da, wo die Musik spielt. Wer als unbedeutender galt, einen weiter unten oder hinten, wo man nichts mehr sehen kann, und Bedeutungslose wurden gar nicht erst eingeladen. In Qumran saßen die Priester an erster Stelle, die Ältesten an zweiter und dann kamen alle übrigen, das gemeine Volk. Aber die Rangfolge bedeutete auch Gehorsam, oft genug Unterwerfung der Rangniedrigeren unter den Willen des Ranghöheren. Jesus stellt ein Kind an den ersten Platz. Wenn es seinen Jüngerinnen und Jüngern um die Macht untereinander geht, weist Jesus sie mit Wort und Zeichen an, Sklave, Dienerin oder Letzter zu werden. Deshalb stellt Jesus das Kind in die Mitte, und er segnet die Kinder als sinnfälliges Zeichen, dass sie in der gerechten Welt Gottes zu den Ersten gehören. Im Matthäusevangelium steht das Kind in der Mitte am Beginn einer Gemeindeordnung (Mt 18). In der Gemeindeordnung gibt es keine Ämter, die die verschiedenen Ränge regeln würden. Das Kind in der Mitte ist der Schlüssel für die neue Machtverteilung in der Gemeinde: „Amen, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer so gering wird wie dieses Kind, wird im Himmelreich am größten sein. Wer ein solches Kind meinetwegen aufnimmt, nimmt mich auf.“ „Wenn ihr nicht werdet, wie die Kinder“, das ist oft spiritualisiert worden. Dabei sind große Theologien der Kindheit herausgekommen. Hans Urs von Balthasar hat von der Kindlichkeit als dem „innersten, mysterialen Wesen der Kirche“ gesprochen. Seine Gedanken dazu lassen sich schön lesen: „Wir alle bleiben dem Gotteswort gegenüber Kinder, die nicht alles bis auf den Grund verstehen, und haben uns deswegen zu hüten, unser Unverständnis als die objektive Grenze in der Aufnahme der verkündeten Lehre einzusetzen. In der Schule haben die Kinder dauernd Dinge zu lernen, die sie noch nicht wissen.“ Aber solche Spiritualisierung des Kindseins birgt die Gefahr, Menschen nicht in die Mündigkeit zu entlassen. Eine Gefahr, die schnell in den Missbrauch der Macht durch die übergeht, die sie besitzen. Jesus fordert aber nicht zu Unschuld und Naivität auf, sondern dazu, Machtansprüche über Andere aufzugeben. Kinder an die Macht! Ansgar Wucherpfennig SJ SCHWERPUNKT 21

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