Jesuiten 2020-1

Den Wunsch nach Macht wahrnehmen Wenn von Macht die Rede ist, dann ist der Kontext eigentlich immer negativ. Es geht um Machtmissbrauch. Das gilt mittlerweile für so gut wie alle Bereiche des öffentlichen Lebens, nicht nur für die Wirtschaft, sondern ebenso für die Kirchen oder die Politik. Dass Macht einen so negativen Beigeschmack hat, hat Konsequenzen, und zwar auch bei vielen Führungskräften in obersten Positionen in Konzernen oder Familienunternehmen. Denn was für jeden von uns gilt, gilt natürlich auch für sie: Keiner von uns gesteht sich gerne ein, dass er neben seinen guten Eigenschaften auch einige schlechte hat. Man sieht sich selbst nicht gerne als jemand, der neidisch, geizig und missgünstig ist. Weil Macht auszuüben ebenso als eine schlechte Eigenschaft gilt, sieht man sich selbst nicht gerne als jemand, der Macht haben und diese Macht auch ausüben will. Und weil man sich selbst nicht gerne so sieht, nimmt man diese Seite seiner Persönlichkeit auch nicht gut wahr und ist sich gar nicht im Klaren über die Macht, die man hat und ausübt. Dabei ist Macht an und für sich weder gut noch schlecht. Ob die Macht gut oder schlecht ist, hängt davon ab, wofür und auf welche Weise die Macht gebraucht wird. Wenn Eltern ihre Kinder erziehen, dann üben sie Macht aus. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist dem Wesen nach ein Machtverhältnis. Daran nimmt normalerweise niemand Anstoß, denn man geht davon aus, dass die Eltern das Beste für die Kinder wollen und ihre Macht zum Wohle des Kindes einsetzen. Gefährlich sind weniger die Menschen, die sehr bewusst Macht anstreben und mit der Macht, die sie haben, umgehen können – auch wenn es in unserer Zeit erschreckend viele Beispiele für einen sehr bewussten Machtmissbrauch gibt. Problematischer sind diejenigen, die Macht haben, aber diese Macht und auch ihre Freude an der Machtausübung nicht richtig wahrnehmen. Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die Politik. Und es gilt ganz besonders für die Führungskräfte in der Kirche. Im Selbstverständnis vieler kirchlicher Führungskräfte kommt Macht nicht vor. Sie denken von sich selbst, dass sie gestalten wollen, Verantwortung übernehmen oder dienen möchten. Aber es ist klar: Hinter all diesen wohlklingenden Formulierungen liegt im Kern der Wunsch nach Macht, also der Wunsch darüber (mit)entscheiden zu können, was andere denken, glauben, für richtig halten, fühlen oder tun sollen. Wer sich seiner Macht und seines Bedürfnisses nach Machtausübung bewusst ist, kann damit umgehen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, richtet oft ohne es zu wollen großen Schaden an. Michael Bordt SJ 2 SCHWERPUNKT JESUITEN n MÄRZ 2020 n MACHT

RkJQdWJsaXNoZXIy MjIwOTIwOQ==