Jesuiten 2020-2

Erst in der Unterscheidung der Geister lernte ich, dass man jeden Satz missbrauchen kann. 11 SCHWERPUNKT Widerspruch aus Loyalität „Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung.“ (Lk 12, 51) Als ich zum ersten Mal auf diesen Satz Jesu stieß, verstand ich ihn nicht. Jesus ist doch gekommen, um Frieden zu bringen. Dann wurde mir der Satz auch noch suspekt. Denn ich traf auf seinen Missbrauch durch elitäre katholische Gruppen, die Jugendliche von ihren Familien entfremdeten, zum Beispiel in dem sie sie zu verfrühten Keuschheitsgelübden oder zu anderen Sondergelübden drängten. Ihre Wortführer bezogen sich dann gerne auch auf diesen Satz. Denn die Spaltung, die Jesus ansprach, vollzog sich in den Familien seiner Jünger (vgl. Lk 12, 52). Die Verführer der Jugendlichen argumentierten dann so: „Aus der Tatsache, dass deine Eltern es nicht gut finden, dass du dich bei uns engagierst, kannst du schließen, dass du auf dem Weg Jesu bist. Denn so ging es denen, die Jesus damals nachfolgten, auch.“ Erst in der ignatianischen Unterscheidung der Geister lernte ich, dass man jeden Satz im Evangelium missbrauchen kann. Also kann man jeden Satz Jesu auch richtig verstehen. Heute verstehe ich deswegen den Satz Jesu über die Spaltung, hoffentlich richtig, so: Jesus verkündete das Evangelium vom Frieden, doch diese Botschaft hatte eine spaltende Wirkung, und zwar deswegen, weil Jesus die Ursachen für Unfrieden benannte, insbesondere die Ausgrenzung der Armen und Sünder. Damit trat er einigen Leuten gewaltig auf die Füße. Konnte jedoch die spaltende Wirkung seiner Predigt ein Grund dafür sein, das Evangelium vom Frieden nicht mehr zu predigen? Natürlich nicht. Und damit sind wir genau bei dem, was ich heute Widerspruch aus Loyalität nenne: Jesus blieb seiner Sendung treu, und gerade deswegen widersprach er weiterhin denen, die wollten, dass er sich in den falschen Frieden, genauer ins Schweigen zurückzieht. Frieden ist eine Frucht der Gerechtigkeit. Auch in der Kirche gibt es Ungerechtigkeiten. Wer diese anspricht, dem wird gerne Spaltung vorgeworfen. Heute erheben angeblich romtreue Kreise gegenüber den Befürwortern des „Synodalen Weges“ den Vorwurf, sie wollten eine nationalistische Spaltung von der römischen Kirche vorantreiben. Genau solche Vorwürfe sind aber kein Grund dagegen, weiter für Gerechtigkeit in der Kirche einzutreten. Wer da den Vorwurf der Illoyalität erhebt, entlarvt sich selbst. Klaus Mertes SJ JESUITEN n JUNI 2020 n KIRCHENBILD[ER] © Christian Huhn

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