Jesuiten 2020-2

Hagenkord: Wer virtuell unterwegs ist, der kontrolliert nicht mehr. Wer glaubt, heutzutage Kommunikation kontrollieren zu können, der lebt in einer Wunschwelt. Den Kontrollverlust können wir im Analogen aus dem virtuellen Raum lernen. Wir müssen Leute ausbilden und ihnen ein Mandat geben. Ich könnte das jetzt theologisch überhöhen mit Taufgnade, aber das Netz funktioniert einfach so. Mit der vielschichtigen Kirche, die daraus entsteht, müssen wir leben. Die Kirche ist eh vielschichtig, vielleicht ist es jetzt sichtbarer oder anders abgebildet. Neben Gemeinschaft sind es die Rituale, die fehlen. Braucht man neue Rituale für das Virtuelle? Hagenkord: Man muss zwischen Gewohnheiten und Ritualen unterscheiden. Gewohnheiten kann man ausbilden, das braucht Disziplin, wenn sie sich nicht einschleichen sollen. Rituale brauchen etwas von Realität. Oder zumindest einen Rahmen. Was ich bei digitalen Angeboten immer schwierig finde: Die schwimmen mit allem anderen mit. Ich kann schlecht bewusst einen Schnitt setzen und sagen, jetzt mach ich etwas „Frommes“. Ich bin digital immer in einem Dazwischen. Hagenkord: Genau, wenn ich den Computer morgens anmache und gucke, was das Netz so macht, habe ich keine Sequenz von Seiten, die ich nacheinander aufrufe. Anders ist das beim Zeitungslesen morgens früh oder beim Brevierbeten. Das kann ich nicht online, das kann ich nicht auf dem Phone machen, andere machen das. Das ist eine Frage der Gewohnheit. Rituale meint eher: Wie beten wir gemeinsam bei Tisch. Wann versammeln wir uns wo? Wann mache ich meine Kerze an? Das sind Rituale und die brauchen eine Form von Realität, weil wir körperliche Wesen sind und auch körperlich glauben mit Kniebeugen, Kreuzzeichen und irgendwann hoffentlich mal wieder Händeschütteln. Es braucht eine Form von Körperlichkeit. Kerzen sind ein gutes Beispiel. Bei ganz vielen digitalen Angeboten ist es das, was man zuhause machen soll: Eine Kerze anzünden. Das scheint irgendwie eine Grenze zu sein im Digitalen: Die Kerze auf dem Bildschirm flackern sehen, ist eben nicht dasselbe, wie die Kerze neben mir stehen haben und sie selbst anzünden. Da haben wir wieder die Brücke. Hagenkord: Brücke ist ok, da sind wir dabei. Wir stehen auch auf den Balkons und klatschen, aber es ist eben nicht dasselbe wie eine Gehaltserhöhung bei der nächsten Debatte. Es braucht eine Realität dahinter. Dag Heinrichowski SJ 19 JESUITEN n JUNI 2020 n KIRCHENBILD[ER]

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